DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde
Ironie genauso gut auch genießen, hochverehrte Maianthe. Den Humor zu würdigen, den uns das Leben bietet, ist das, was uns jung erhält. Und womit es uns derzeit konfrontiert, das ist schon wirklich was! Greifen und Magier, Rechtskundige und Spionagemeister …«
Die Tür ging auf.
Maianthe erhob sich mit leicht schuldbewusster Miene, obwohl sie zu dem Zeitpunkt, an dem sie sich umgedreht hatte, eine glaubhafte Haltung unschuldiger Neugier demonstrierte.
Tan rang sich ein Lächeln ab, während er darauf wartete, dass die Tür weit genug offen stand, um den Blick auf den Besucher freizugeben. Wahrscheinlich waren es weder Istierinan noch sein Schoßmagier … Ah! Fast ebenso furchterregend: Die Besucherin war Iriene.
Die Heilerin zeigte eine finstere Miene. Das überraschte Tan überhaupt nicht.
»Ihr da«, herrschte Iriene ihn streng an und bedachte Maianthe lediglich mit einem kurz angedeuteten Nicken, »solltet flach auf dem Rücken liegen. Ich habe strikte Anweisungen erteilt. Tatsächlich habe ich, soweit ich mich erinnere, Euch höchstpersönliche strikte Anweisungen gegeben. Und hier ertappe ich Euch in aufrechter Sitzhaltung!«
Tan erwog in rascher Folge ein halbes Dutzend mögliche Antworten, die von »schnippisch« bis »lammfromm« reichten, und sagte dann fast ohne zu zögern: »Wirklich, hochverehrte Iriene, ich würde lieber versuchen, aufzustehen und herumzulaufen. Man weiß nie, welche Notwendigkeiten sich ergeben. Aufrecht zu sitzen – das erscheint mir als vernünftiger Kompromiss, mal abgesehen davon, dass es der Dame Maianthe gegenüber respektvoller ist.«
Iriene blickte ihn streng an und nickte kurz, womit sie sowohl seine Dreistigkeit als auch die Notwendigkeit bestätigte, sich ehrerbietig zu verhalten. »Nur damit Ihr es auch richtig versteht: Solltet Ihr meine ganze gute Arbeit durch Ungeduld zunichte machen, werde ich mir weder die Mühe geben noch die Zeit nehmen, um sie erneut auszuführen. Eine so detaillierte Arbeit ist nicht leicht auszuführen, wisst Ihr, selbst wenn ich in Höchstform bin. Was ich in jüngster Zeit nicht bin. Also übertreibt es nicht, oder Ihr stoßt schneller an Eure Grenzen, als Euch lieb ist, versteht Ihr?«
»Ja, hochverehrte Iriene«, antwortete Tan kleinlaut.
»Hochverehrte Iriene …«, begann Maianthe zögernd.
Die Heilmagierin richtete den strengen Blick auf Maianthe. »Veranstaltet bloß keinen Rummel um meinen Patienten!«, warnte sie.
»Nein, das werde ich nicht … und habe ich nicht«, entgegnete Maianthe so kleinlaut wie Tan. »Ich glaube jedenfalls nicht, dass ich es habe. Übrigens, Iriene, ich habe mich gefragt … Das heißt, die Menschen denken – die Leute sagen –, ich müsste Tan durch Zauberkraft gefunden haben. Ich denke jedoch nicht, dass ich über irgendwelche Zauberkraft verfüge. Ich habe nicht das Gefühl, dass es so ist.«
Irienes Blick verriet jetzt Neugier. Sie musterte Maianthe von Kopf bis Fuß. Dann zuckte sie die Achseln. »Auf mich macht Ihr nicht den Eindruck«, sagte sie. »Ich bin jedoch nicht die geeignetste Person für diese Frage, Herrin Maianthe. Ich bin selbst kaum eine Magierin … Ich heile nur. Das ist meine Arbeit. Etwas anderes tue ich nicht.« Sie hielt inne, blickte Tan an und zuckte erneut die Achseln. »Was ihn angeht: Ereignisse rings um ihn herum zeigen die Neigung, auf andere Bahnen zu gelangen. Sogar ich kann das erkennen.«
»Ereignisse zeigen die Neigung …?«, hob Maianthe an.
»Und was genau soll das heißen?«, wollte Tan gleichzeitig und in viel schärferem Ton wissen.
Iriene wandte sich an Maianthe. »Ihr erkennt es nicht?«
Maianthe betrachtete Tan forschend, der sich dabei ertappte, wie er unter diesem Blick rot wurde. Dann breitete sie jedoch nur ratlos die Hände aus und antwortete Iriene: »Nein, hochverehrte Heilerin. Ich denke nicht, dass ich etwas erkenne.«
»Hm, ja«, sagte Iriene. »Und dieser Greif, der Euren fürstlichen Vetter besuchen kam. Ihr wart dabei? Ihr seid ihm begegnet? Das stimmt doch, oder?«
Maianthe nickte.
»Habt Ihr in dieser Situation Hass auf ihn empfunden?«
»Hass auf ihn empfunden?«, wiederholte Maianthe, die offensichtlich noch immer verblüfft war. »Nein, ich denke nicht. Ich hielt ihn für furchterregend – und schön – und gefährlich, aber ich sah keinerlei Grund für Hass. Ich meine, er ist ein Freund meines Vetters. Oder so etwas wie ein Freund, denke ich.«
Den letzten Satz hatte sie mit einer zimperlichen Haltung
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