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DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

Titel: DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Neumeier
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Abend weniger kalt; obwohl noch nicht richtig warm, spürte man doch das Versprechen des kommenden Sommers in der Luft. Maianthe hörte in der Dunkelheit außerhalb des Lampenscheins das eindringliche Flöten der kleinen grünen Frösche. Irgendwo stieß ein Nachtreiher sein raues Krächzen aus, und einen Augenblick später antwortete ihm ein ferner Gefährte. Die Kopfschmerzen ließen endlichnach, und Maianthe seufzte und reckte die Schultern. Sie war sehr müde. Trotzdem wollte sie Tan aufsuchen – um wenigstens einen Blick auf ihn zu werfen und sich davon zu überzeugen, dass die Dienstmägde ihn inmitten des königlichen Besuches nicht vergessen hatten.
    Die Kopfschmerzen kehrten zwischen einem Schritt und dem nächsten zurück und drückten mit Wucht auf Maianthe, als kämen sie aus einer Quelle außerhalb von ihr – von etwas in der Luft oder aus der Dunkelheit selbst. Halb geblendet von den Schmerzen setzte sich Maianthe gleich an Ort und Stelle auf den Boden – auf den geharkten Kies des Gartenpfades –, beugte sich vor und drückte sich beide Hände fest an die Schläfen. Sie hatte noch nie in ihrem Leben solche Kopfschmerzen gehabt.
    Sie streckte eine Hand aus und zog mit den Fingern eine Spirale in den Kies. Etwas in der Luft oder der Dunkelheit drehte sich um, ein Widerhall auf das, was sie zeichnete; sie spürte dessen Regung, während es ihrem Spiralmuster folgte. Ihre Kopfschmerzen ließen auf einmal nach und hämmerten im nächsten Augenblick mit erneuter Heftigkeit. Sie fand sich auf den Beinen wieder, wie sie eine Spirale von innen nach außen abschritt. Etwas begleitete sie, folgte ihr wie ein Schatten. So fühlte es sich jedenfalls an. Es waren ihre Kopfschmerzen, oder so dachte sie wenigstens. Es war kein Teil von ihr, sondern folgte ihr so dicht wie der eigene Schatten. Ihr richtiger Schatten, der von den Hauslampen und dem Mond am Himmel geworfen wurde, flackerte wie verrückt in alle Richtungen, aber das Ding, das ihr folgte, klebte ihr dicht an den Fersen. Sie zog eine Spirale in den Kies und die Erde und die Luft, eine Spirale, die sich immer weiter und weiter nach außen drehte. Das Ding auf ihren Fersen folgte der Spirale – folgte ihr weiter, als Maianthe sie gezogen hatte oder ziehen konnte. Es lief auf einer Spiralbahn in die Nacht hinaus und löste sich wie Nebel auf.
    Im Haus schrie jemand. Dann jemand anders. Jemand redete. Seine Stimme warf im ganzen Haus und auf dem ganzen Grundstück Echos, aber Maianthe verstand die Worte nicht. Nein, im Grunde redete er nicht; es war eigentlich keine Stimme. Jemand tat jedoch etwas, das wie Reden war, und das ganze Haus schien sich vorzubeugen und dieser Person zu lauschen. Nur rotierte die Stimme dieser Person – oder was immer das war – auf einer Spiralbahn, die immer weiter nach draußen führte, und ihre Macht löste sich auf. Das Haus schien zu schaudern und sich dann entschieden auf sein Fundament zurückzusetzen.
    Weitere Rufe ertönten. Jemand rannte aus dem Haus und an Maianthe vorbei, aber mit zu großem Abstand, um ihn richtig erkennen zu können; sein Schatten hing ihm an den Fersen – seltsam beständig in der Richtung trotz der Vielzahl von Lampen. Der Mann verschwand in der laternenhellen Stadt am Fuße des Hügels, der Schatten war eng an ihn geheftet. Jemand anders folgte dem ersten Mann. Mehrere weitere Leute stürmten in unterschiedliche Richtungen durch den Garten. Maianthe wich ihnen aus und drückte sich an die Hauswand. Sie spürte diese massiv im Rücken, eine warme, seltsam feste Gegenwart. Wieso seltsam fest? Wie sollte ein Haus denn sein, wenn nicht fest? Maianthe rieb sich das Gesicht und versuchte nachzudenken. Ihre Gedanken fühlten sich zähflüssig wie Schlamm an. Im Haus herrschte ein Tumult, der sie an einen ähnlichen Aufruhr erinnerte, als irgendwann im Verlauf eines Herbstes ein Wirbelsturm vom Meer gekommen war und einen halben Flügel abgedeckt hatte.
    Ihre Kopfschmerzen waren jedoch vollständig verschwunden.
    Die Linulariner Agenten hatten einen erneuten Versuch unternommen, Tans habhaft zu werden. Maianthes Gedanken waren noch immer konfus und langsam, und so wurde ihr das erstallmählich klar. Sie hatten versucht, wie schon beim ersten Mal ungesehen zu kommen und zu gehen – um Tan ohne Laut oder Lufthauch oder irgendeinen Lärm zu entführen. Beinahe hätten sie Erfolg gehabt. Sie waren wie Nebel durch die Lücken zwischen den Wachleuten des Deltas und denen des Königs

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