DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde
konnte, dass er es entweder nicht wusste oder es nicht glaubte. Aber wahrscheinlich wollte er damit ausdrücken, dass er sich nicht auf einer falschen Hoffnung ausruhen wollte. Er fragte: Kes?
»Sie ist heute hier nicht aufgetaucht.« Am letzten Granitblock, meinte Jos damit – dem Block, der das hiesige Mauerende verankerte und in dem sich die stärksten Risse zeigten.Früher mal hätte er mit diesen Worten ausgedrückt: Sie ist nicht hergekommen, um mit mir zu reden. Das brauchte er inzwischen jedoch nicht mehr auszusprechen. Inzwischen suchte sie nie mehr die Hütte auf und sprach nie mit Jos. Sie wagte sich nur in die Berge, um Feuer auf den Wall zu schleudern: Sie versuchte, das Gestein zu zertrümmern oder niederzureißen.
Opailikiita Sehanaka Kiistaike? Ashairikiu Ruuanse Tekainiike?
Ruuanse Tekainiike war ein junger Greifenmagier, kaum mehr als ein Kiinukaile, ein Schüler. Greifen wurden entweder für lange Zeit oder nur für kurze Zeit Schüler und entwickelten sich dann zu ausgewachsenen Magiern, die niemandem untertan waren, wie Jos es verstand. Dies geschah, indem sie einfach eines Morgens aufwachten und sich selbst zu Meistern erklärten. Ruuanse Tekainiike war kein Schüler mehr, denn er erkannte keinen Meister über sich an, aber er war Kairaithin in keiner Hinsicht gewachsen. Er bereitete Jos keinerlei Kopfschmerzen. Oder zumindest sehr wenige.
Opailikiita war anders. Auch sie war ein junger Greif; auch sie war in keiner Weise so mächtig wie Kairaithin, obwohl Jos Grund genug hatte, ihre Macht zu respektieren. Wichtiger jedoch war, dass sie eine besondere Freundin von Kes war. Das Greifenwort dafür lautete Iskarianere – was beide zu so etwas wie Schwestern machte. Jos kannte das Wort, war sich aber darüber klar, dass er nur eine ferne Vorstellung von seiner tatsächlichen Bedeutung hatte.
Aber schließlich hatten auch Greifen, wie er ebenfalls wusste, nur eine sehr undeutliche Vorstellung von menschlichen Begriffen wie »Freundschaft« und »Liebe«.
»Sie auch nicht«, antwortete Jos.
Kairaithin schwieg eine Zeit lang und starrte von der kleinen Wiese zum Wall hinab. Die Sonne hatte sich hinter den höchsten Gipfeln hinabgesenkt, sodass sich tiefe Schatten über dieTäler im Schutz der Berge ausbreiteten. Die Temperatur fiel schon – oder hätte es getan, wäre Kairaithin nicht auf der Bergwiese gewesen. Gebirgsbienen summten entschlossen von Blüte zu Blüte und nutzten die Wärme, die der Greif auf ihre Wiese brachte. Jos fragte sich, ob die Anwesenheit des Greifen eher nützlich oder eher schädlich für die Wiese war. Er verbreitete vielleicht Wärme und Licht rings um sich, aber dieses Gras und die Blumen, die sein Schatten verbrannt hatte, würden lange brauchen, um sich wieder zu erholen.
Sollte jedoch der Wall einstürzen, war ein kleiner Flecken verbrannten Grases auf einer Hochwiese bei Weitem nicht das schlimmste Problem, mit dem sich alle Welt konfrontiert sehen würde.
Bertaud, der Sohn von Boudan, kommt hierher, berichtete Kairaithin, der weiter in die Tiefe starrte. Dein König begleitet ihn.
»Hierher?« Jos war bestürzt – und fragte sich dann: Wozu diese Bestürzung? Aus persönlichen Gründen oder nur aufgrund der Vorstellung, dass der König und sein Gefolge seine stillen Berge überrannten? So oder so, er unterdrückte dieses Gefühl und fragte: »Warum? Ich meine, was glauben sie, tun zu können?« Etwas Nützliches? Was das sein könnte, das überstieg seine Vorstellungskraft.
Der Greif schlug mit seinem langen Löwenschweif ein-, zweimal vor sich auf die Erde. Obwohl Jos Kairaithin seit etlichen Jahren kannte und seit mehreren davon auf leidlich gutem Fuß mit ihm stand, wusste er doch nicht, ob diese Bewegung von Verärgerung oder Zufriedenheit, von Nervosität, räuberischer Absicht oder von etwas gänzlich anderem kündete. Als Kairaithin sprach, vermochte Jos im Klang der Gedankenstimme nichts weiter zu erkennen als eine seltsame Art geduldigen Zorns, und dieser durchdrang den Greifen schon so lange, wie Jos zurückdenken konnte – tatsächlich seit Errichtung desWalls. Des Bauwerks, bei des Errichtung Kairaithin geholfen hatte, wonach das eigene Volk ihn verstieß. Jos wusste kaum mehr darüber, denn der Greif sprach später nie mehr davon. Jos glaubte jedoch, Kairaithins Zorn zu verstehen. Was er nicht verstand, war die Geduld.
Ich habe Bertaud, dem Sohn von Boudan, die Nachricht überbracht, erzählte Kairaithin. Ich – a ls wäre ich
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