Der Grenzgänger
zugleich. „Gerstenkorn wollte uns Fleischmann mitteilen.“
Der Kommissar stimmte mir ohne zu zögern zu. „So ist es, mein Freund. Fleischmann hat in seinen Romanen einen ganz bestimmten Bürgermeister im Visier gehabt. Bürgermeister Walter Gerstenkorn aus einer Kommune im Kreis Düren.“
Langsam dämmerte es mir. Gerstenkorn war immer schon eine schillernde Gestalt in der Politik gewesen mit vielen Schlagzeilen und wenig Skrupeln, wenn es darum gegangen war, politische Macht zu erlangen oder zu erhalten. Er war vor Jahren als Gewerkschaftsfunktionär schon ehrenamtlicher Bürgermeister geworden und vor knapp zwei Jahren zum ersten hauptamtlichen Bürgermeister seiner Kommune gewählt worden, nachdem er keine Gelegenheit ausgelassen hatte, um seine Konkurrenten in geschmacklosen Schlammschlachten auszustechen. Hemmungen waren ihm anscheinend fremd.
„Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass der Kerl Dreck am Stecken hat“, meinte ich zu Böhnke, der spontan zustimmte. „Dem Typen traue ich die krummen Sachen zu, die Fleischmann beschrieben hat. Ich würde mich nicht wundern, wenn sich die beschriebenen Ereignisse tatsächlich in dieser Form ereignet hätten und Gerstenkorn der große Absahner hinter den Kulissen ist.“
„Was wollen Sie tun?“ Mit einem Mal war ich hellwach und aufgeregt. „Wollen Sie den Kerl schnappen?“
„Heute bestimmt nicht mehr“, beruhigte mich der Kommissar mit einem Blick auf die Uhr. „Der liegt im Bett und schläft den Schlaf der Gerechten, während wir total übermüdet hier herumsitzen.“ Schwerfällig schob er sich von seinem Hocker und langte in die Gesäßtasche nach seiner Geldbörse. „Das nächste Mal bezahlen Sie.“
Nachdenklich gingen wir durch das dunkle, kalte und menschenleere Huppenbroich zurück zum umgebauten Hühnerstall.
Für mich gäbe es noch zwei Dinge zu klären, sagte ich Böhnke, obwohl es eigentlich sogar drei waren. Aber das Dritte wollte ich noch für mich behalten. Irgendwie traute ich dem Kommissar nicht über den Weg.
„Hat Fleischmann auch in seinem sechsten Roman über Gerstenkorn einen Hinweis versteckt, und wenn ja, wo? Zweitens: Warum handelt das letzte Manuskript nicht von Gerstenkorn?“
„Wahrscheinlich gibt es über Gerstenkorn nichts mehr zu schreiben“, gab mir der Kommissar zunächst eine Antwort auf meine zweite Frage. Es sei auch für den Laien erkennbar, dass dieses letzte Werk stilistisch und von der Gliederung her völlig anders sei, als die Reihe über Gerstenkorn. „Fleischmann hat sich ein neues Opfer gesucht.“
Ich ließ die Behauptung im Raum stehen. Vieles sprach dafür, dass Böhnkes Annahme zutraf. Wobei ich mich selbst fragte, ob Fleischmann Opfer dieses zweiten Opfers geworden war oder Opfer seines ersten Opfers?
Das sei in der Tat eine noch ungeklärte Frage, bestätigte mir Böhnke. „Wir sind zwar weiter als heute Morgen, aber wir haben längst noch nicht unser Ziel erreicht.“ Schnell beendete er seinen Satz, wohlwissend, dass sein Ziel nicht unbedingt das meinige war. Für ihn war wahrscheinlich immer noch der Maulwurf das Größte aller Probleme.
„Was ist mit Gerstenkorn? Was ist mit dem sechsten Roman?“ Ich kam wieder auf meinen ersten Fragenkomplex zurück.
Wir standen schon vor der Tür zu unserem Quartier und ich beobachtete Böhnke bei seinem Bemühen, das klemmende Schloss zu öffnen. Ich ließ mir den Inhalt des Romans durch den Kopf gehen. Als der Kommissar endlich die Tür geöffnet hatte, stürzte ich an ihm vorbei ins Wohnzimmer und langte nach dem angeblich fehlerfreien Buch.
Es hatte in der Tat keinen Fehler, aber es enthielt ebenfalls einen Hinweis, wie mir plötzlich sonnenklar geworden war. Nach kurzem Blättern hatte ich ihn gefunden.
„Hier ist er“, erklärte ich Böhnke stolz und zeigte ihm die Summe der Subventionen, die für die Ansiedlung des Unternehmens in Gerstenkorns Kommune geflossen waren. „Diese 7.791.987,- DM haben garantiert etwas zu bedeuten.“ Ich klappte das Buch wieder zusammen. „Wenn Sie mich fragen würden, würde ich sagen, dass ist die tatsächliche oder verschlüsselte Nummer eines Kontos, auf dem Gerstenkorn seinen Reibach deponiert hat.“
Böhnke wusste nicht sonderlich viel mit meiner Überlegung anzufangen. „Woher wollen Sie das wissen?“ Dann winkte er entschuldigend ab. „Nein, wenn ich unterstelle, Sie haben Recht, woher hat Fleischmann die Nummer gewusst?“
Ich konnte Böhnke verständlicherweise keine
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