Der Grenzgänger
ich nachhaken konnte, was er damit gemeint hatte. „Ich muss dringend ins Büro.“
Vorsichtig schlürfte ich den dampfenden Kaffee. „Hat Ihre Eile etwas mit dem Mord an Fleischmann oder mit unserem Scrabble von gestern Abend zu tun?“, fragte ich.
Der Kommissar rang sich ein Lächeln ab. „Das eine lässt sich wahrscheinlich nicht vom anderen trennen.“
„Was wollen Sie im Büro?“ Ich war gespannt auf die nächsten Schritte Böhnkes.
Aber der Kommissar hielt sich bedeckt. „Akten lesen, Telefonate führen, nachdenken“, gab er ausweichend zur Antwort.
Er sei wenig kooperativ, maulte ich. „Zuerst versuchen Sie mit allen Tricks, mich in die Geschichte hineinzuziehen. Jetzt, da ich mittendrin stehe, schieben Sie mich ab und machen Ihre Alleingänge.“
Der Kommissar betrachtete mich. „Keine Bange, mein Freund. Ich mache garantiert nichts ohne Sie. Ich muss aber zunächst ein paar neue Fäden spinnen, damit wir unseren Teppich weiterweben können.“
Noch sei es ein mickriger Flickenteppich, behauptete ich. „Wo wollen Sie denn anfangen?“
Der Kommissar verblüffte mich, als er gelassen antwortete: „In Düren, mein Freund. Ich muss unbedingt Kontakt mit meinem Kollegen Küpper aufnehmen. Er kann uns bestimmt interessante Informationen über Gerstenkorn besorgen. Immerhin gehört die Kommune, in der Gerstenkorn sein Unwesen treibt, in den Zuständigkeitsbereich der Kripo Düren.“
Darauf hätte ich selbst kommen können, musste ich mir eingestehen. „Sonst noch was?“
Wieder grinste Böhnke mich an. „Ich will außerdem wissen, ob Sie mit Ihrer Behauptung Recht haben, dass es sich bei der Summe in Fleischmanns letzten Roman tatsächlich um eine Kontonummer handelt.“ Diese Ermittlungen könne er schwerlich von Huppenbroich aus führen, meinte er, was auch für mich einleuchtend war.
„Dann lassen Sie uns schleunigst in die unvergleichliche und einmalige Printenstadt zurückkehren“, schlug ich jovial vor und packte schnell meine wenigen Sachen ein.
Meiner Bitte folgend, lieferte mich Böhnke vor der Haustür am Templergraben ab. Ich hatte nicht sonderlich Lust, mich in der Kanzlei blicken zu lassen. Wahrscheinlich wartete dort ein gewaltiger Aktenstapel auf mich, aber der Papierhaufen würde gewiss nicht verschimmeln, wenn ich mich nicht um ihn kümmerte. Allenfalls Sabine gegenüber hatte ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich ihr meine Rückkehr nach Aachen verschwieg. Ich nahm mir vor, sie am Abend anzurufen und zu besuchen.
Der Entschluss, Sabine anzurufen, erinnerte mich an meine Absicht, mit Wagner zu sprechen. Nach langem Suchen und etlichen Flüchen fand ich endlich seine Visitenkarte in einer Hosentasche. Während ich die Rufnummer ins Zahlenfeld des Telefons tippte, überlegte ich mir die Fragen, die ich ihm stellen wollte. Meine auf der Hand liegende Annahme traf zu, dass er sich nicht im Büro, sondern in seiner Wohnung in Beggendorf aufhielt. „Was soll ich denn im Büro?“, fragte Wagner genervt, „da gibt es nichts mehr für mich zu tun.“
„Wieso?“, entgegnete ich knapp.
„Weil alle meine persönlichen Unterlagen vernichtet sind. Ich habe nichts mehr.“ Er gab sich Mühe, nicht gereizt zu wirken. „Ich möchte nur wissen, warum die Polizei überhaupt noch tagelang nach vermeintlichen Spuren gesucht hat. Da gibt’s doch überhaupt nichts mehr.“
Er habe doch bestimmt alle Unterlagen und Dokumente im Computer gespeichert, meinte ich.
„Alles nicht“, entgegnete der Verleger. „Es ist so eine Macke von mir, alle Manuskripte auf Papier vorliegen zu haben. Und diese Papiere sind bei der Explosion unbrauchbar geworden.“ Außerdem seien alle Disketten defekt, auch habe die Festplatte des Zentralrechners einen irreparablen Schaden erlitten. Ein Abspeichern der Manuskripte hätte ihm demnach auch nichts genützt.
Das würde bedeuten, er habe keine Unterlagen mehr, vermutete ich grübelnd.
So sei es, antwortete Wagner. „Alle persönlichen Unterlagen unserer Autoren, alle meine Bilanzen und Verträge, alle Manuskripte, quasi alle wichtigen Unterlagen sind unwiederbringlich verloren.“ Der Verleger schluckte schwer. „Im Prinzip ist der Verlag am Ende. Wir haben keine Papiere und auch keine Bücher mehr.“
„Aber Sie leben und Ihre Mitarbeiter sind unverletzt geblieben“, gewann ich dem Bombenanschlag sogar noch etwas Positives ab. „Wir haben schier unglaubliches Glück gehabt“, bestätigte Wagner ohne Begeisterung. Er lachte bitter auf.
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