Der Grenzgänger
Antwort geben. „Lassen Sie uns zunächst einmal versuchen, meine Überlegung zu bestätigen. Wenn sie zutrifft, kommen wir garantiert zu weiteren Erklärungen. Wenn sie falsch ist, stehen wir auch nicht viel schlechter als jetzt da.“
Der Kommissar rieb sich gähnend die Augen. „Von mir aus kann sein, was will. Ich mache es wie alle redlichen Zeitgenossen, ich gehe schlafen.“
Lange lag ich noch wach in meinem Bett. Es gab immer mehr Probleme und Fragen, auf die ich Antworten brauchte. Ich machte mir einige Notizen zu drei Komplexen, die zwar alle durch die Person Fleischmanns zusammenhingen, die aber auch ein Eigenleben führten. Wie ich weiter vorgehen sollte, war mir nicht klar. Nur eines schien unvermeidbar: Ich kam nicht umhin, das elend lange Manuskript über den Metzger Schranz und seinen Freund Willibald zu lesen. Und noch etwas war zwangsläufig: Ich musste noch einmal die Romane über Gerstenkorn lesen. Falls der Typ Fleischmann auf dem Gewissen hatte, sollte er büßen. Aber auch für den Fall, dass Gerstenkorn nicht an der Ermordung Fleischmanns beteiligt war, sollten wenigstens seine unlauteren Machenschaften gesühnt werden.
Meine Gedanken steuerten erneut auf Renate Leder zu. Welche Rolle spielte sie in diesem merkwürdigen Hickhack, das Fleischmann in Szene gesetzt hat? Wusste sie Bescheid? Hatte Fleischmann sie in die Hintergründe eingeweiht? Stöhnend suchte ich wieder Renates Zeichnung auf der Nachtkonsole. Oder war sie dem Autor auf die Schliche gekommen, hatte sie seine Botschaften entschlüsselt? Wie passten die Buchstaben und Striche auf dem Zettel zusammen? Passten sie überhaupt zusammen und passten sie in Fleischmanns real-fiktive Romanwelt?
Manchmal glaubte ich, einige Verbindungen zu erkennen, etwa eine Verbindung zwischen „F“ und „L“, was Fleischmann und Leder bedeuten konnte, aber dann passte die Beziehung „F“ und „W“ für Fleischmann und Wagner nicht zusammen, weil es keine einzige Verbindung zwischen „L“ und „W“ gab, obwohl Leder und Wagner beruflich miteinander zu tun hatten. Daraus konnte ich schließen, dass mit den Buchstaben andere Personen gemeint waren.
Vieles passte in dem Soziogramm nicht zusammen, mir fehlten einfach noch einige Namen. Für mich hatte die Rechnung zu viele Unbekannte. Langsam kamen in mir sogar Zweifel auf, ob Renate mit „F“ überhaupt Fleischmann meinte. Ich war davon überzeugt, dass die Kombination von „D“ und „S“ ausschlaggebend war. Aber ich hatte noch keinen blassen Schimmer, wer hinter diesen Buchstaben stecken konnte. Ich wollte das Rätsel lösen, das in Renates Zeichnung verborgen war. Vielleicht konnte ich der Lektorin so helfen.
Schließlich blieb auch noch meine mich verunsichernde Überlegung bezüglich Böhnke. Wieso wollte er mir glaubhaft machen, er sei erst durch das Scrabble auf den Namen Gerstenkorn gestoßen? Er hatte mir vor wenigen Tagen noch von den heiklen Ermittlungen gegen den Bürgermeister und den ehemaligen Stadtdirektor berichtet. Und jetzt tat der Kommissar so, als habe er eine vollkommen neue Erkenntnis gewonnen. Ich würde ihn nicht nach dieser merkwürdigen Begebenheit fragen. Mir kam nur eine Vermutung. Wenn Böhnke sein Spiel mit mir spielte, würde ich mein Spiel mit ihm spielen.
Schläfrig wälzte ich mich in dem schmalen Bett auf die anderen Seite. ,Warum machst du das alles?’, fragte ich mich. ,Warum steigst du nicht einfach aus?’ Doch dann tauchte schon wieder Doktor Renate Leder vor meinem geistigen Auge auf. Sie lachte mich an und war, auch wenn ich es mit wenig Begeisterung registrierte, immerhin noch meine von Böhnke aufgezwungene Mandantin, und es schien, als sei sie selbst zum bedauernswerten Opfer geworden in dem mörderischen Spiel um Renatus Fleischmann.
Ein müder Krieger
Böhnke nahm zu meiner Freude erstaunlich viel Rücksicht auf mich. Es war fast Mittag, als ich wach wurde und bemerkte, dass der Kommissar umtriebig in der Wohnung umherlief. Er hatte mich ausschlafen lassen und alleine den Hausputz und das Aufräumen besorgt. Ich hätte ohnehin nur dumm in der Gegend mit meinen beiden linken Händen herumgestanden, meinte er mit mildem Spott, als ich mich für mein langes Schlafen entschuldigte.
„Kein Problem“, sagte er gelassen, während er mir am Küchentisch einen Kaffee einschenkte, „ich hatte einiges zu erledigen. Da hätten Sie nur gestört.“ Wir müssten unsere Zelte in Huppenbroich abbrechen, fuhr er fort, bevor
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