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Der Grenzgänger

Der Grenzgänger

Titel: Der Grenzgänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Lehmkuhl
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das überflüssige „H“, das fehlende „A“, das strittige „E“, das übersehene „R“ und das nicht geschriebene „F“. „In jedem Buch gibt es einen Aussetzer, nur im sechsten nicht. Das Werk ist astrein von der ersten bis zur letzten Zeile“, erklärte ich Böhnke, der sinnierend den Block mit meinen Anmerkungen in die Hand nahm.
    Sein erster Kommentar war nicht gerade aufmunternd. Ich hätte eine Sauklaue, beurteilte er meine Handschrift, dann schüttelte er den Kopf und legte den Block vor sich auf die Theke. „Können Sie etwas damit anfangen?“, fragte er mich als deutlichen Hinweis darauf, dass ihm zu diesen Fehlern nichts einfiel.
    ,Warum sollte ich?’, fragte ich mich. „Keine Ahnung.“ Ich grinste. Wir könnten uns allenfalls ein Scrabble aus den Buchstaben machen, schlug ich vor. Dann hätten wir wenigstens etwas zu tun. „Wer die wenigsten Wörter zusammensetzt, bezahlt die Zeche.“
     
     
    Der Kommissar ging bereitwillig auf mein Spiel ein, grübelnd saßen wir wenige Augenblicke später vor unseren Biergläsern. „Harfe“, „Hafer“, „fahre“, mehr fiel mir beim besten Willen zu dieser späten Stunde und beim dritten, ungewohnten Bier nicht mehr ein. Ich resignierte schnell. „Die Zeit ist um“, sagte ich, „oder brauchen Sie noch Bedenkzeit?“
    Böhnke hörte mir gar nicht zu. Er stierte auf seinen Zettel und dachte angestrengt nach. Neugierig lugte ich hinüber und erkannte zu meiner Freude, dass der Kommissar nicht über ein Wort hinausgekommen war. Er hatte lediglich „Hafer“ notiert. „Was ist? Sind Sie eingeschlafen oder wollen Sie nicht mehr mit mir spielen?“, fragte ich scherzhaft.
    Sehr langsam drehte sich Böhnke zu mir und blickte mich mit großen Augen an. „Ich frage mich, wer das größere Genie ist, Fleischmann oder Sie?“
    Dass ich nichts verstand, nahm mir Böhnke augenblicklich ab. „Im Zweifel für den Angeklagten“, sagte ich ohne jeden Zusammenhang, aber etwas anderes konnte ich nicht sagen. Mich als Genie zu bezeichnen, war zwar schmeichelhaft, brachte mir aber nichts ein, außer einem gelegentlichen Schulterklopfen aller möglichen Menschen und den Rüffeln meiner Liebsten, die immer meinte, mich auf den Boden der Tatsachen zurückholen zu müssen.
    „Was ist denn für Sie das Geniale?“, wollte ich interessiert wissen.
    Böhnke zeigte auf seinen Zettel und das Wort. „Hafer“, sagte er bewundernd, „einfach genial. Das ist die Lösung, mein Freund. Hafer ist der Hinweis, der uns, beziehungsweise Ihnen, fehlt.“
    Ich bremste den Kommissar. Bevor er mir seine Interpretation gab, wieso er zu dieser Behauptung gekommen war, wollte ich mir meine eigenen Gedanken machen. Bei „Hafer“ fiel mir zunächst Pferdefutter ein und damit Reiten und in der weiteren Folge das Aachener Reitturnier. „Stimmt’s?“
    Aber Böhnke schüttelte verneinend den Kopf. „Das ist es nicht.“
    Diese Kette wäre auch für einen Krimiautor zu durchsichtig gewesen, gestand ich mir ein. Hafer, Roggen, Gerste, Weizen, so knüpfte ich die nächste Kette, die mich weiter zu einer Bäckerei und über Lebensmittel zum Metzger aus dem letzten Manuskript führte.
    „Jetzt gehen Sie aber zu weit, mein Freund“, holte mich der Kommissar aus der Fantasie zurück. Er lächelte selbstzufrieden und ich wollte ihm den Erfolg gönnen. Ich hatte die Fehler gefunden und er daraus die Lösung konstruiert. Das war eine perfekte Zusammenarbeit.
    Böhnke orderte eine neue Runde und sah mich dann ernst an. „Bekanntlich ist Hafer eine Getreidesorte“, erklärte er, ohne Widerspruch erwarten zu müssen, „ebenso wie Roggen, Gerste, Weizen.“
    Damit verriet mir Böhnke keine Geheimnisse. So weit war ich auch schon gekommen, gab ich ihm zu verstehen.
    Er nickte mitleidsvoll. „Dann haben Sie den falschen Weg eingeschlagen. Sie hätten bei den Getreidesorten bleiben müssen und wären dann bei der Gerste gestolpert.“
    „Wieso?“ Ich wusste nicht viel über Gerste. Ich kannte allenfalls das Gerstenkorn, das mich in meiner Jugendzeit eine Zeitlang am Auge gepiesackt hatte. Ich griff nach meinem Bierglas, nahm einen kräftigen Schluck und verschluckte mich, als mir urplötzlich klar wurde, was oder wen Böhnke und auch Fleischmann gemeint hatten.
    Ich brauchte lange, bis ich nach den kräftigen Schlägen von Böhnke auf mein Kreuz und dem gewaltigen Husten wieder durchatmen konnte.
     
     
    „Gerstenkorn, das ist die Lösung“, krächzte ich begeistert und entsetzt

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