Der Grenzgänger
„Das ist mir nicht bekannt“, antwortete er entschuldigend, „aber ich werde mich darum kümmern. Das dürfte schnell geklärt sein.“ Der Polizist griff nach dem Telefon und gab wenige Augenblicke später eine Anweisung.
Ich hörte ihm bei seinem Telefonat nicht zu. Was passte hier zusammen und was nicht? Je länger ich mich mit diesem Fall beschäftigte, umso verworrener wurde er. Auf was hatte ich mich eingelassen, bedauerte ich mich, um mich schleunigst zu verbessern: In was für ein Geschehen hatte mich Böhnke bloß hineinmanövriert?
„Fehlanzeige, Herr Grundler.“ Bloemen räusperte sich laut. „Außer den Fingerabdrücken von van Dyke gibt es keine anderen.“
Mit dieser Aussage konnte ich gut leben. Ich grinste Böhnke an. „Das ist doch eine gute Nachricht, oder nicht?“
Der Kommissar runzelte die Stirn und kniff die Augen zusammen. Er verstand mich nicht oder tat so, als hätte er mich nicht verstanden.
Ich sah jedenfalls keinen Anlass, ihn in meine Überlegung einzuweihen, und freute mich über die Verunsicherung, die sich in Böhnkes Gesichtsausdruck spiegelte.
Er wollte zu einer Bemerkung ansetzen, unterließ sie dann aber.
Noch einmal blickte ich hinaus ins Freie, in das beruhigende Grün, dann wandte ich mich den Bücherregalen zu. Bücher und Zeitschriften in deutscher, englischer, aber auch niederländischer Sprache waren darauf deponiert. Meterweise fanden sich pornografische Hefte, vermutlich Belegexemplare. Auf zwei Regalbrettern befanden sich Videokassetten, gewiss die gesammelten filmischen Werke des Erfolgsautors. Ich würde mir freiwillig nicht die Mühe machen, dieses Zeug durchzublättern oder anzuschauen, und ich hoffte, dass sich keine Notwendigkeit ergeben würde, den Kram als Beweismaterial durchsehen zu müssen. „Wir werden wohl nicht umhinkommen“, bemerkte Bloemen. „Wenn wir nicht auf andere Weise auf den Mörder von van Dyke stoßen, finden wir eventuell in den Filmen oder Heften die notwendigen Hinweise.“
„Welchen Mörder suchen Sie? Den von van Dyke oder den von Fleischmann?“ Auf Bloemens Antwort war ich gespannt.
Doch er wollte sich nicht festlegen. „Woher soll ich das wissen, Herr Grundler?“ Er drängte zum Aufbruch, er habe noch eine Konferenz, entschuldigte der Polizist sich. „Wenn Sie noch einmal wiederkommen wollen, können Sie mich gerne anrufen“, bot er an, „aber jetzt müssen wir zurück nach Heerlen.“
Während der Rückfahrt schwiegen wir uns an. Jeder von uns ging seinen Gedanken nach, verspürte aber wenig Lust, sie den anderen mitzuteilen.
Ich war insgeheim fasziniert von den ständigen Wendungen, die es während meiner Beschäftigung mit dieser Geschichte gab. Das Geschehen entwickelte sich verzwickter als ich je in einem Krimi gelesen hatte. Mehr und mehr fand ich Gefallen an meiner, zum Teil selbst gestellten Aufgabe, im Sinne von Renate Leder Licht in das Dunkel zu bringen, durch das Böhnke und ich seit geraumer Zeit tappten. Wir befanden uns mitten in einem Fall, den Fleischmann garantiert zu einem Krimi verarbeitet hätte, wenn er nur gekonnt hätte.
Ich schloss die Augen und lehnte mich in den Sitz zurück. Fleischmann war van Dyke. Das war eine bislang unbekannte Beziehung, eine Verbindung, die ich vielleicht auf Renates Soziogramm wieder fand. Das eingekreiste „D“ drängte sich auf.
Stand das „D“ etwa für van Dyke? Es konnte durchaus sein. Mir stockte der Atem. Wenn dies der Fall war, dann hatte Renate über das Doppelleben des Autors Bescheid gewusst, vielleicht hatte sie sein Geheimnis herausbekommen, vielleicht hatte er es ihr verraten. Dafür sprach das Pornoheft, das wir in ihrer Wohnung gefunden hatten. Darin würden sich garantiert Geschichten von van Dyke befinden, davon war ich überzeugt. Das herauszufinden, würde eine weitere Aufgabe für Böhnkes Assistenten von sein, ich würde mich nicht damit befassen.
Und dann? Wie geht es weiter? Ich pustete tief durch. Die beiden Personen „D“ und „S“ waren in Renates Zeichnung die entscheidenden Figuren gewesen. „D“ war vielleicht geklärt, aber wer war „S“? Es würde ein Leichtes sein, das Soziogramm restlos zu entschlüsseln, wenn ich auf diese Frage eine Antwort bekam. Wer war „S“? Welche Beziehung hatte er zu „D“, zu van Dyke, zu Fleischmann?
Erst als ich mit Böhnke allein auf der Autobahn in Richtung Aachen war, kamen wir ins Gespräch.
„Kann man mit Pornos so viel Geld verdienen?“,
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