Der Grenzgänger
Berufstätigkeit würde nach meiner Ansicht niemand zu einem derartigen Lebensumfeld gelangen. Da steckte entweder eine Erbschaft dahinter, die den Müßiggang finanzierte, oder ein auf nicht ganz saubere Weise erwirtschaftetes Vermögen. „Was macht er beruflich?“
Bloemen stieg die breite Treppe ins Obergeschoss hinauf und winkte mir zu. „Kommen Sie?“, forderte er mich und Böhnke freundlich auf. Zielstrebig steuerte er ein Zimmer an, das voll gepackt mit Bücherregalen war. Ein mächtiger Schreibtisch stand vor einem wandhohen Fenster, das den Blick hinaus ins Grüne gewährte. „Hier, an diesem Tisch, verdient Piet van Dyke sein Geld“, erklärte Bloemen ruhig und er fuhr in einem sachlichen Tonfall fort. „Er ist der uneingeschränkte Herrscher der pornografischen Schriften Europas. Es gibt kein Pornoheft weit und breit auf diesem Kontinent, in dem nicht irgendwelche Ergüsse von van Dyke stehen.“
„Damit lässt sich so viel Geld machen?“ Ich betrachtete Bloemen voller Skepsis, der bestätigend nickte.
„Damit und mit Drehbüchern für exklusive Pornofilme. Außerdem hat van Dyke selbst Filme produziert.“ Er deutete mit der Hand nach unten. „Und im Keller gibt es noch ein komplett ausgerüstetes Filmstudio mit allem Inventar, das für die Produktion eines Videofilmes benötigt wird. Oben schreiben, unten filmen ist anscheinend eine äußerst lukrative Angelegenheit.“
Offensichtlich war das eine einträgliche Beschäftigung, musste ich staunend anerkennen. „Was sagen denn die Nachbarn zu dieser nicht gerade alltäglichen Berufstätigkeit?“
„Sie wissen von nichts“, antwortete Bloemen. „Für sie ist van Dyke ein unscheinbarer Biedermann, der jetzt spurlos verschwunden ist.“
Langsam verfestigte sich in mir eine Vermutung. „Verraten Sie mir freundlicherweise, was Frau Doktor Renate Leder mit diesem Herrn Piet van Dyke zu tun hat?“
„Wenn wir das wissen würden, wären wir weiter“, stöhnte der Polizist.
„Was wissen Sie überhaupt?“ Mir wurde das planlose Herumreden von Bloemen zu bunt.
„Ganz einfach“, mischte sich Böhnke beschwichtigend ein. Er hatte das richtige Gespür dafür, dass mein Geduldsfaden bald reißen würde. „Meine niederländischen Kollegen haben heute Morgen herausgefunden, dass Piet van Dyke nicht nur Piet van Dyke heißt, sondern auch Renatus Fleischmann.“
Das saß. Ich schluckte und hatte Mühe, die Neuigkeit zu verdauen.
„Ein Vergleich der Fingerabdrücke auf Gegenständen in den beiden Wohnungen hat zu dieser Erkenntnis geführt“, ergänzte der Kommissar. „Unser ermordeter Renatus Fleischmann führte zweifelsfrei ein Doppelleben; in Aachen war er der zurückgezogen und bescheiden lebende Krimiautor, in Ubach over Worms der Mann, der mit Pornografie zu Reichtum kam und seinen Lebenswandel genoss.“
„Aha.“ Mehr blieb mir im Augenblick nicht zu sagen.
Van Dyke habe sich seine Honorare immer als Barschecks auszahlen lassen, die er in verschiedenen Banken einlöste. Er sei erst seit zwei Jahren richtig im Geschäft gewesen. Irgendwann wäre die Steuerfahndung garantiert auf ihn aufmerksam geworden, behauptete Bloemen. „Lange hätte er sich nicht mehr unerkannt in den Niederlanden herumtreiben können.“
Mich interessierte dieser Aspekt nicht sonderlich. Schnell hatte ich die Tatsache des Doppellebens akzeptiert, die damit verbundenen Nebengeräusche waren für mich bedeutungslos. Mich interessierte vielmehr die Frage, ob Fleischmann oder van Dyke ermordet worden war. Sollte der Pornoschreiberling gemeint sein, konnte ich die bisherigen Untersuchungen in Deutschland wahrscheinlich abhaken, war der Krimiautor das Mordopfer, tappte ich immer noch im Dunkeln. Welche Beweggründe der Tote gehabt hatte, sich eine doppelte Existenz aufzubauen, war eine Frage, die ein Psychologe beantworten konnte. Mir war dieses Phänomen momentan ziemlich gleichgültig. „Das ist der falsche Ansatz“, glaubte Böhnke mir widersprechen zu müssen. „Ich an Ihrer Stelle würde fragen, welche Rolle Ihre Mandantin Frau Doktor Leder in dieser vertrackten Angelegenheit spielt.“
War das so wichtig, welchen Weg wir einschlugen? Ich wusste es nicht und sah nachdenklich aus dem Fenster hinaus in das weitläufige Grün. Endlich kam mir eine Idee, die mir vielleicht weiterhelfen würde. „Haben Sie auf dem Briefumschlag Fingerabdrücke von Renate Leder gefunden?“, fragte ich.
Bloemen sah zunächst mich, dann Böhnke mit staunendem Blick an.
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