Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika (German Edition)
Präsidentenpalast; rechts, hinter der Kirche des Heiligen Franziskus, befindet sich ein ausuferndes Netzwerk indianischer Straßenmärkte. Auf dem Prado selbst sitzen Campesinas auf dem Gehsteig, wo sie (was wie ein Stilbruch wirkt) Uhren, Sony Walkmans und Raubkopien von Computerhandbüchern verkaufen. Fast jeder ist indianischer Herkunft: Jedoch bis 1952 war es Indianern nicht einmal gestattet, auf den Bürgersteigen der Stadt zu gehen.
Im Unterschied zu den meisten Großstädten leben die Reichen in La Paz in den tieferen Lagen, wo sie vom beißenden Wind des Altiplano geschützt sind. Wenn man dem Prado bergab folgt, steigt der Anteil der Latinos unter den Gesichtern; die Autos sind neuer, die Läden schicker, die Kleider westlicher. Tief unten im Canyon erreicht man schließlich Calacoto, den am tiefsten gelegenen und exklusivsten Stadtteil, wo reiche Bolivianer und Ausländer in glitzernden Malls einkaufen und in teuren, ummauerten Vorstädten mit bewaffneten Wachen an den Eingängen leben.
Wir checkten in einem ruhigen Hotel ein, dem Residencial Illimani, und gingen auf einen Drink in die Stadt. In der Bar war eine Gruppe Geschäftsleute auf bestem Wege, alle Hemmungen fallen zu lassen, als sie zu regionalem Liedgut aus der Musikbox grölten. Mark ließ „We are the Champions“ von Queen laufen, und alle grölten auch dazu mit. Da wir den Song ausgesucht hatten, fühlten wir uns verpflichtet, ebenfalls zu grölen.
Überall um uns her waren Männer zusammengesackt und hatten ihre Köpfe auf die Tische gelegt. Manche schliefen. Andere schluchzten leise und machten keine Anstalten, ihre Tränen zu verbergen. Es war erst acht Uhr. Einer der Geschäftsleute kam herüber, um sich mit uns zu unterhalten.
„Wie es aussieht habt ihr alle eine Menge Spaß“, bemerkte ich. „Si, amigos . Aber ein Bolivianer trinkt nicht, weil er es will.“ „Warum sonst?“ „Er trinkt, weil er muss. Das Leben hier ist hart. Wir können es uns nicht leisten, wie ihr in Urlaub zu fahren, aber manchmal brauchen wir auch eine Pause.“
Bolivianer, erklärte er, trinken nicht aus Spaß oder um soziale Kontakte zu schmieren, sondern ausdrücklich, um betrunken zu werden. Das geht bei ihnen sehr schnell. Um sechs Uhr abends sind die Bars voll. Um neun Uhr abends werden die Körper auf den Bürgersteig gekarrt. La Paz könnte sehr gut als die Weltstadt der Alkoholiker durchgehen: In der Nacht torkelt hier praktisch jeder in besoffenem Zustand herum. Wir ließen die Geschäftsleute singen und weinen und suchten uns etwas zu essen. Mark entschied sich für die billige Möglichkeit: Einen Hamburger an einem Straßenstand. Ein Mann neben uns bestellte ebenfalls einen, war aber zu betrunken, um sein Geld zu finden – wenn er welches hatte. Um dem Standbesitzer zu helfen, ihn loszuwerden, bezahlte ich für ihn. Nur dass weder ich noch der Standbesitzer ihm klarmachen konnten, dass er jetzt einen Hamburger besaß. Wir gingen weiter und ließen ihn zum x-ten Mal in seinen Taschen suchen, während der Standbesitzer versuchte, ihn zu überreden, das verdammte Ding zu nehmen und einfach zu gehen.
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Bolivision ( unsichtbare Indianer )
Am nächsten Morgen fanden Melissa und ich ein Cafe fürs Frühstück. Auf dem Fernseher in der Ecke lief „Bolivision“ – Boliviens wichtigstes Fernsehprogramm.
„Ist dir eigentlich aufgefallen“, sagte ich zu Melissa, „dass die Schauspieler und Moderatoren alle Latinos sind? Und alle Leute in den Nachrichten sind Latinos – alle Politiker, Geschäftsleute, Popstars. Man sieht kaum jemals ein indianisches Gesicht im Fernsehen. In den Zeitschriften und Zeitungen ist es dasselbe.“ „Komisch“, sagte Melissa. „Ich hatte erwartet, dass Lateinamerika voller – du weißt schon – heißblütiger Latin Lover und Latin Girls ist, die in String-Tangas auf den Tischen tanzen.“
Aber überall um uns her saßen die runden, rotbraunen asiatischen Gestalten der Anden-Indianer und kauten an ihren zähen Fleischbrocken. Leidgeprüfte, stoische Gesichtszüge. Kleiner, stämmiger Körperbau. Sie starrten in ihren Matés de Coca oder redeten leise. Niemand tanzte im G-String auf den Tischen. Hier, mitten in La Paz, erschien die Vorstellung völlig absurd, dass diese Länder Latino -Länder waren. Wie waren wir eigentlich jemals darauf gekommen?
Die Antwort war hier direkt vor uns im Fernsehen: Die Indianer waren „unsichtbar“. Natürlich galt das nicht auf den Straßen,
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