Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika (German Edition)
Zinnpreis auf dem Weltmarkt eingebrochen ist, hat die staatliche Mine geschlossen, aber verzweifelte Minenarbeiter suchen immer noch nach Resten von Silber – mit einfachsten Werkzeugen und bei minimalen Sicherheitsstandards. Unser Führer hieß Julio Cesar. Er war schlecht gelaunt, weil vier deutsche Touristen ihn hatten warten lassen, während sie ihren Kaffee tranken.
„Wir zahlen, also kann er warten“, hatten sie gesagt. „Julius Caesar, der Eroberer Englands“, witzelten wir, um ihn aufzuheitern. Julio lächelte nicht. Er konnte sich offensichtlich nicht daran erinnern, irgendein Gringo-Land erobert zu haben. Er führte uns zu einem Geschäft, wo wir Geschenke für die Minenarbeiter kaufen sollten: Zigaretten, Coca-Blätter, Streichhölzer, Nitroglyzerin und Dynamit. Ich fühlte mich nicht ganz sicher, als ich diesen explosiven Mix trug, und drückte ihn dem ersten Minenarbeiter in die Hand, dem ich begegnete.
Ein ungeteerter Weg wand sich die gewaltige Abraumhalde hinauf, in die sich der Cerro verwandelt hatte. Am Eingang der Mine dienten zwei strohgedeckte Hütten als Umkleidekabinen und Unterkünfte. Julio ging in eine davon und brachte Helme und englische Grubenlampen aus der Zeit von Charles Dickens heraus. Zwei Minenarbeiter saßen auf dem Schotter, kauten Coca-Blätter und tranken selbstgebrannten Whisky. Sie sagten, sie würden die Entdeckung einer neuen Silberader feiern.
Sie schütteten etwas Whisky auf den Boden. „Eine Gabe für den Berg“, erklärte Julio. Einer der Minenarbeiter drückte Melissa ein Stück Silber in die Hand. Sein linkes Bein war deformiert – die Folge, so erklärte er, eines Unfalls mit einem Bohrer. Der Minenschacht war so niedrig, dass Mark und ich fast krabbeln mussten.
Julio erklärte, der Cerro bringe inzwischen so geringe Erträge, dass die Kooperativen es sich nicht leisten könnten, Zeit in einen solchen Luxus wie z.B. in Tunnels zu investieren, in denen man aufrecht stehen könne. Improvisierte Holzplanken stützten die Decke. „Ja, es kommt zu Verschüttungen und anderen Unfällen“, erklärte Julio, „aber das größte Risiko ist die Staublunge. Der Staub in den Minen ist sehr gefährlich. Er zerfrisst die Lungen. Nach vielleicht zehn oder fünfzehn Jahren kann man sterben.“ Wir waren rund eine Meile weit im Inneren des Berges. Es gab keine Belüftung außer der Luft vom winzigen Eingang. Schattige Gestalten, nur von ihren Grubenlampen beleuchtet, hackten mit Handpickeln an der Oberfläche des Felsgesteins, wobei Schweiß von ihren Augenbrauen tropfte. Jungen, die nicht älter als vierzehn oder fünfzehn waren, liefen mit Säcken, die halb so schwer waren, wie sie selbst, die lockeren Hänge hinauf.
„Ich habe acht Jahre in der Mine gearbeitet. Jetzt arbeite ich hier seit zwei Jahren als Führer – ich bin jeden Tag in der Mine. Vielleicht habe ich auch eine Staublunge. Vielleicht werde ich auch sterben“, sinnierte er finster. „Wo sind die ganzen Minenarbeiter?“, beklagte sich einer der Deutschen. „Sie haben uns versprochen, dass mehr Minenarbeiter hier sein würden.“
„Gestern sie haben etwas Silber gefunden. Also sie haben letzte Nacht gefeiert und viel getrunken. Deshalb heute arbeiten nicht viele“, erklärte Julio gereizt. „Sie arbeiten nicht den Touristen zuliebe. Ist das OK?“ Der Deutsche murmelte ja, es sei OK. Julio blieb vor einem Gesicht stehen, das aus dem Fels gehauen worden war. Es war mit farbigen Bändern aus Krepppapier übersät. Eine Reihe Zigaretten balancierte in seinem Mund. Das, sagte Julio, sei El Tio. Wörtlich bedeutet das „Onkel“, aber seine Hörner verraten seine wahre Persönlichkeit. Der Teufel. Der Besitzer des Cerro selbst. Das Papier und die Zigaretten waren symbolische Gaben der Minenarbeiter, die um Schutz und Glück baten. Aber dies war ein Teufel mit den scharfen Zügen und dem Ziegenbart eines Conquistadore, eines Europäers. „Für die Minenarbeiter“, erklärte Julio, „gehören diese Minen dem Teufel, und der Teufel ist ein Europäer.“ Er machte eine Pause. „Wir Minenarbeiter hassen Europäer“, ergänzte er.
✷ ✷ ✷
Die offenen Adern Lateinamerikas
Die Eroberung hallt durch die Jahrhunderte. Sie änderte al es: Das heutige Lateinamerika kann nur im Licht dieses einen verhee renden, epochemachenden Ereignisses verstanden werden. Die Eroberung ersetzte eine selbstgenügsame landwirtschaftliche Ökonomie durch eine, die auf Ausbeutung basierte. Potosí war
Weitere Kostenlose Bücher