Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika
sprang ich schon aus dem Bus, bevor er anhielt, und stürzte mich an die Spitze der Warteschlange. Inzwischen hatten wir wahrscheinlich mehr Langstreckenbusse genommen als die meisten Peruaner in ihrem ganzen Leben. In den Bussen herrsch te immer eine Atmosphäre unterdrückter Aufregung, Verwirrung und Erwartung. Ich bin sicher, es war die größte Reise, die viele unserer Mitreisenden jemals gemacht hatten: Familien hatten ihre gesamten Besitztümer in Kisten und Säcke gepackt; vielleicht zo gen sie um, um Arbeit zu finden.
Mein Riesenteller Brathähnchen war lecker. Ich hatte sogar Zeit, nach dem Essen ein wenig draußen herumzulaufen. Im Mondlicht sah ich Felsblöcke und die gezackten Umrisse von Bergen. Männer pissten gegen den Bus, während Frauen im Graben auf der anderen Straßenseite, diskret versteckt unter ihren weiten Röcken, in der Hocke ihr Geschäft verrichten.
Nach einer weiteren Stunde Fahrt war die Straße durch Stein schlag blockiert. In einer Welle der Verwirrung gab man uns die Anweisung, die Busse mit den Fahrgästen zu tauschen, deren Bus gerade von den Bergen heruntergekommen war. Die Bus-Crews begannen, das Gepäck vom Dach zu laden und es zum anderen Bus hinüber zu schleppen. Kurz vor Sonnenaufgang fiel die Temperatur noch stärker ab und zerstörte noch die letzten Hoffnungen auf Schlaf. Wir hatten einen Pass erreicht; der Bus hörte auf zu steigen und fuhr wieder bergab. Das grelle Morgenlicht brannte durch die dünne Luft. Vor uns endeten die Berge in einer weiten, baumlosen Ebene. Das war der Altiplano – eine der höchstgelegensten und raues ten bewohnten Regionen der Erde.
Rotbraune Lehmhäuser mit strohgedeckten Dächern spren kelten die flache braune Ebene. Menschen, vor allem Frauen, waren schon auf den Beinen und bestellten Flecken dünner Er de von Hand mit Grabwerkzeugen oder trieben etwas Vieh die Straße entlang. Wieder einmal trugen sie die Campesina -Tracht des Hochlands: Schwere Röcke, mehrere Unterröcke, Wollpullo ver, Schals und Hüte. Nur die Hüte unterschieden sich von denen in Ecuador. Hier trugen die Frauen Zylinderhüte, wie aus einem Rembrandt-Gemälde, anstelle der pastetenförmigen ecuadoria nischen Filzhüte. Manche trugen sogar zwei Hüte, indem sie ei nen auf dem anderen balancierten. Die Frauen waren stämmig und zäh; der beißende Wind und die intensive Sonneneinstrah lung ätzten sich in ihre rotbraunen Gesichter. Wir erreichten Cuzco am späten Vormittag.
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Cuzco
Cuzco liegt 3300 Meter über dem Meeresspiegel am oberen Ende eines fruchtbaren Tals und ist auf drei Seiten von braunen Hügeln umgeben. Es ist das populärste Reiseziel auf der üblichen Gringo- Route – dem „Gringo-Trail“ – durch Peru. Touristen kommen (die vernünftigeren fliegen von Lima her), um Machu Picchu und an dere Inka-Ruinen zu besichtigen, die die Stadt umgeben. Trotz mancher Inka-Mauern in den Wänden der kolonialen Gebäude ist Cuzco architektonisch eine guterhaltene spanische Kolonialstadt voll alter Kirchen und einer weltabgeschiedenen zentralen Plaza. Kulturell ist es eine Quechua-Stadt; eine pulsie rende Anden-Gemeinde mit einem geschäftigen Markt, der sich aus seiner höhlenartigen Halle auf die angrenzenden Straßen er gießt.
Es ist auch eine der wenigen Städte mit einem Gringo-Trail-Nacht leben. Es gibt Bars voller Rucksacktouristen, Bäckereien, die leckeres Süßgebäck haben, und Snackbars, die Quiche anbieten. Es hat auch Perus bestes Bier, ein dunkles Starkbier, das Cuzqueña Malta heißt. Jedes Radio plärrte abwechselnd eine Aufnahme von einer schwedischen Popgruppe namens Ace of Base und einen genau so schrecklichen Euro-Disco-Song namens „Mr. Vain“. Wir waren um die halbe Welt gereist, um die beiden schlechtesten Platten Europas zu hören. Es klang, als wenn Radio Cuzco sich nur zwei Platten leisten könnte, denn sie spielten diese beiden Songs den ganzen Tag lang abwechselnd, bis wir das nächste Radio nehmen und es an die Wand werfen wollten. Wenn sie westliche Kultur haben wollten, musste es ausgerechnet der Abschaum sein? „All that she wants is another baby“, plärrte der schwachsinnige Text. Wohin auch immer wir sahen, waren Frauen, die ein Baby auf den Rücken gebunden hatten und ein zweites auf dem Arm trugen, das die halbe Zeit an ihrer Brust nuckelte. Das letzte , was diese Frauen brauchten, war noch ein Baby.
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Der Nabel der Welt
Als Pizarro Cuzco betrat, kommentierte einer seiner Männer: „… es ist
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