Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika
aufregender wurde. Melissa und ich ergänzten uns zu einer vollständigen Person. Ich brachte uns an die richtigen Orte, wäh rend Melissa mit ihrer temperamentvollen und warmen Art sich mit jedem anderen Rucksacktouristen in der Herberge anfreunde te. Das einzige, was sie daran hinderte, sich auch noch mit allen Peruanern anzufreunden, war ihre permanente Unfähigkeit, sich auch nur die fundamentalsten Spanischkenntnisse anzueignen.
Am letzten Tag erreichten wir das Tor zur Sonne, das über den engen Pass über dem Machu Picchu wacht. Es handelt sich um eine kompakte kleine Ruine, die aus einem Bogen und einem un bedachten Raum besteht, der vermutlich eine Kaserne gewesen war. Es war neblig und es nieselte, sodass wir nichts sehen konn ten außer diesem Wachhaus und drei schmalen grasbewachsenen Terrassen, die wie Treppenstufen am Hang lagen. Wir campierten auf der untersten Terrasse – der einzigen, die flach war. Unsere Zelte waren ein wenig zu breit für diese Terrasse und standen am Rand um ein paar Zentimeter über. Ich kroch ins Zelt und lauschte auf Mark, der ins Nichts pinkelte. (Zen-Frage: Wie klingt es, wenn ein Mann ins Nichts pinkelt?)
Morgens löste sich der Nebel allmählich auf. Er entbarg zwei Dinge. Das erste war, dass wir buchstäblich an der Kante einer Klippe campiert hatten. Das zweite war der Machu Picchu. Ob wohl wir hunderte Bilder davon gesehen hatten, war er trotzdem atemberaubend: Eine verlorene Stadt, die eine Bergkuppe krönt – mit fast senkrechten Hängen an drei Seiten und dem Zuckerhut des Huayna Picchu im Hintergrund.
Ich hatte Machu Picchu zum ersten Mal im Streatham Odeon gesehen, als ich zwölf gewesen war – in einer Kinowerbung für Diamanten (wenn ich mich recht entsinne): Es wirkte geheim nisvoll und exotisch unter den Nebelschwaden – und so fern wie die Sterne.
Und nun stand ich hier. Wie bei den Pyramiden und anderen weltberühmten Bauwerken war es merkwürdig, endlich vor dem Original zu stehen. Es ist plötzlich irgendwie neu und doch ver traut. Als wir uns ihr entlang des Inka-Weges näherten, wie die Inkas selbst es getan hätten, wurde ihre außergewöhnliche Abge legenheit und Unzugänglichkeit spürbar, wie sie sich – mit knap per Not, wie ein Adlerhorst – tief in einem Wald aus Wolken auf einer einsamen Bergspitze zu halten schien.
Wir verbrachten den Tag damit, die Ruinen zu erkunden. Die ursprünglich strohgedeckten Gebäude hatten keine Dächer, aber die Mauern waren ein Beispiel für das majestätische Puzzle-Mau erwerk der Inkas aus massiven ineinandergreifenden Steinen, die so präzise abgemessen sind, dass man nicht einmal ein Messer in die Ritzen schieben kann. Mark bestand darauf, dass ich ihn in „kompromittierenden“ Positionen mit dem Lama fotografie rte – einem ziemlich berühmten Tier, das angestellt ist, um das Gras zu mähen. (Natürlich durch Fressen. Soviel ich weiß, hatten sie noch nicht versucht, ihm die Bedienung eines Rasenmähers beizubringen.)
„Wow“, sagte Melissa, „einfach erstaunlich.“ (Ich vermutete, dass sie die Ruinen meinte, und nicht die Position, in der sich Mark und das Lama befanden.) „Was ist es denn?“ Das weiß niemand so recht. Als Hiram Bingham die Stadt im Jahre 1911 „entdeckte“, verleitete ihn ihre unzugängliche Lage da zu, sie für das geheimnisvolle Vilcabamba zu halten. Nach dem Fall Cuzcos im Jahre 1533 hatte der Inka-Führer Manco Inka eine Armee von 100.000 Mann ausgehoben, war nur knapp bei dem Versuch gescheitert, Cuzco zurückzuerobern, und hatte dann ei ne kurzlebige unabhängige Hauptstadt, Vilcabamba, gegründet, um deren genauen Ort Historiker und Archäologen lange Zeit gerätselt hatten.
Aber heute geht man davon aus, dass Vilcabamba weiter östlich bei Espiritu Pampu lag. Was also war Machu Picchu? Von 173 Ske letten, die dort gefunden wurden, wurden 150 (nicht unbedingt zu Recht) als Frauen identifiziert, was Theorien Auftrieb gab, dass es ein religiöser Ort gewesen war und es sich bei den Frauen um Nonnen oder priesterliche Konkubinen gehandelt hatte. Wahrscheinlicher, wenn auch weniger romantisch, ist die Hy pothese, dass es sich um einen bloßen Außenposten gehandelt hatte, der aufgrund seiner Bedeutungslosigkeit und Abgelegen heit der Zerstörung entgangen war, während wichtigere Stätten der Inka geplündert und zerstört wurden.
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Die Ayllu
„Der Sieg der Spanier über das Inka-Imperium … war mehr als nur irgendeine Eroberung. Er setzte nicht nur
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