Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika
gewaltige Kluft zwischen dem Inka-Adel und der Landbevölkerung, aber wenigstens gewährlei stete das Inka-Imperium die notwendige Grundversorgung: Nah rung und Sicherheit. Beides sollte bald weggenommen werden.
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Machu Picchu
Es gibt drei Möglichkeiten, von Cuzco nach Machu Picchu zu gelangen. Es gibt den Touristenzug, den Zug für die Einheimi schen oder den viertägigen Marsch auf dem Inka-Pfad. Es versteht sich von selbst, dass kein „Traveller“, der etwas auf sich hält, jemals auch nur im Traum den Touristenzug nehmen würde, auch wenn er nicht zehnmal teurer wäre. Es wäre auch et was nicht in Ordnung, wenn nicht jeder behaupten würde, dass es keinen Einheimischen-Zug geben würde; oder dass Touristen den Touristenzug nehmen müssten ; oder dass der Zug der Einheimi schen „gerade abgefahren“ sei; oder dass es Touristen verboten wäre, den Zug der Einheimischen zu benutzen. Das machte es für „Traveller“ umso wichtiger, den Zug der Einheimischen zu nehmen.
Wir aber wanderten. Der Inka-Pfad ist die berühmteste Trek king-Route in Südamerika. Er endet mit einem atemberaubenden ersten Blick auf den Machu Picchu, der denen verwehrt bleibt, die mit dem Zug ankommen. Unterwegs werden wunderschöne Aus sichten auf die Berge geboten. Was will man mehr?
Wir nahmen den (Einheimischen-) Zug und stiegen auf halb em Weg an einer Haltestelle mitten im Nirgendwo aus, die „Kilo meter 88“ hieß.
„Kilometer 88“ ist nicht wirklich ein Bahnhof: Der Zug hält einfach neben vier oder fünf hölzernen Kiosken, in denen Coca- Blätter verkauft werden, damit eine Handvoll Wanderer auf die Gleise klettern kann.
Wir kletterten ebenfalls hinunter. Mark kaufte ein große Tüte Coca-Blätter für den Weg. Coca ist fast schon eine Wunderpflan ze, ideal geeignet fürs Trekking. Peruaner kauen die bitter schme ckenden Pflanzen und behalten ein Knäuel stundenlang in ihren Backen. Oder sie brauen einen Tee, den sie Maté de Coca nennen. Es unterdrückt Hunger und Höhenkrankheit, lindert Magen schmerzen, erleichtert Geburten (obwohl keiner von uns in den kommenden vier Tagen ein Kind erwartete) und liefert Energie.
Man sagt, dass Inka-Boten, die diese Blätter kauten, an einem Tag 150 Meilen laufen konnten. Es macht einen allerdings nicht high – es sei denn, man kaut rund eine Tonne unverarbeiteter Blätter. Der Weg war wunderschön. Wir wanderten über alpine Pässe, über Weiden und durch Nebelwälder, auf Steinpfaden, die die In ka selbst gebaut hatten, einschließlich Tunnel und Treppen. Wir kamen an isolierten Ruinen vorbei – einsamen Festungen und treppenartigen Terrassen. Eine war beeindruckender als die an dere – sie schienen so angelegt zu sein, dass sie im Machu Picchu als Höhepunkt gipfelten.
Wir campierten allein, neben zerstörten Festungen an nebligen Berghängen. Mark verwöhnte uns mit ständigen Wiedergaben der Rocky Horror Show und hundert Versionen von „My Way“. Auch acht Stunden ständigen Regens am zweiten Tag konnten unsere Laune nicht aufweichen. Mark schaltete auf „Singin in the Rain“ um. Der Regen durchnässte aber alles andere, da weder Mark noch Melissa ihre Rucksäcke richtig gepackt hatten. Wir reichten meine Ersatzklamotten herum.
„Was ist nochmal am Ende dieser Tour?“, fragte Melissa, wäh rend wir zuhörten, wie der Regen auf das Zeltdach trommelte. Sie war wahrscheinlich die einzige Person in Peru, die nie vom Machu Picchu gehört hatte. „Du wirst die Überraschung mehr genießen, wenn ich es dir nicht sage.“
Melissas permanente Unfähigkeit, irgendetwas darüber herauszu finden, wohin wir gingen, hatte Methode. Melissa setzte ihr Vertrauen in andere Menschen. Sie hatte sich an Peter gebunden, da sie seine Talente als Lehrer erkannt hatte. Sie vertraute mir als Führer. Egal, wie oft ich ihr den Lonely Planet vor die Nase setzte – er blieb ungelesen.
„Wenn du sagst, dass es gut ist, glaube ich das auch“, sagte sie. „Aber du kannst doch nicht einfach immer auf mich vertrau en“, protestierte ich. Der Gedanke, einfach dem Wort eines ande ren zu vertrauen, anstatt es mit jedem Reiseführer zu vergleichen, der seit 1932 veröffentlicht wurde, jagte mir Schrecken ein.
Für Melissa hingegen gab es keine Enttäuschungen, weil sie keine Erwartungen hatte. Es war eine großartige Weise zu reisen, und ich war auch etwas neidisch. Ihre Begeisterung für jede neue Entde ckung war so echt und ansteckend, dass sie dadurch auch für mich noch
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