Der groesste Teil der Welt
doppelten Magister an, in bwl und bildender Kunst, wie du, aber ihr Hauptfach ist Musik. Du legst den Kopf auf deine Arme auf dem Tisch und schläfst, bis sie fertig ist. Dann geht ihr zusammen durch die Dunkelheit zu deinem Wohnheim an der Third Avenue. Schon im Fahrstuhl kannst du das Popcorn riechen - und natürlich sind alle drei Mitbewohnerinnen zu Hause, auch Pilar, ein Mädchen, mit dem du im vergangenen Herbst fast angebandelt hättest, um dich abzulenken, nachdem Sasha sich mit Drew zusammengetan hatte. In dem Moment, in dem du hereinkommst, wird Nirvana leiser gestellt und die Fenster werden aufgerissen. Du gehörst jetzt offenbar in dieselbe Kategorie wie ein Prof oder ein Bulle: Du machst die Leute augenblicklich nervös. Daraus müsstest du eigentlich was machen können.
Du folgst Sasha in ihr Zimmer. Die meisten Studentenwohnheime sind die reinen Hamsterhöhlen, ausgestopft mit Schnipseln und Überresten von zu Hause - Kissen und Stoffhunde und elektrische Wasserkocher und Flauschpantoffeln, aber Sashas Zimmer ist beinahe leer, sie tauchte im vergangenen Jahr mit nichts als einem Koffer auf. In einer Ecke steht eine Harfe, sie hat sie gemietet, um spielen zu lernen. Du liegst mit dem Gesicht nach oben auf ihrem Bett, während sie ihren Kulturbeutel und ihren grünen Kimono holt und hinausgeht. Sie ist bald wieder da (weil sie, so kommt es dir vor, dich nicht allein lassen will), im Kimono, ein Handtuch um den Kopf gewickelt. Du siehst vom Bett aus zu, wie sie ihre langen Haare ausschüttelt und sich mit einem Kamm, dessen Zähne weit auseinanderstehen, die Knoten auskämmt. Dann lässt sie den Kimono fallen und fängt an, sich anzuziehen: einen schwarzen Spitzen-BH mit Slip, zerfetzte Jeans, ein verwaschenes schwarzes T-Shirt, Doc Martens. Im vergangenen Jahr, nachdem Bix und Lizzie sich zusammengetan hatten, hast du angefangen, in Sashas Zimmer zu übernachten, du hast in Lizzies Bett geschlafen, nur einen Meter von Sashas entfernt. Du kennst die Narbe an ihrem linken Knöchel, von einem Bruch, der operiert werden musste, als er nicht richtig verheilte, du kennst den Großen Wagen aus rötlichen Muttermalen um ihren Nabel und ihren Mottenkugelmundgeruch gleich nach dem Aufwachen. Alle haben euch für ein Paar gehalten - so tief ging die Sache mit dir und Sasha. Sie weinte oft im Schlaf, und du bist zu ihr ins Bett gekrochen und hast sie in den Arm genommen, bis sie wieder langsam und regelmäßig atmete. Sie fühlte sich in deinen Armen so leicht an. Du bist mit Sasha im Arm eingeschlafen und mit einem Ständer aufgewacht, und dann lagst du nur da, hast gewartet, dass dieser Körper, den du so gut kanntest, seine Haut und seine Gerüche mit deinem Bedürfnis, jemanden zu ficken, zu einem einzigen Impuls verschmolzen. Na los, mach was draus und benimm dich ausnahmsweise mal wie ein normaler Mensch, aber du hattest zu große Angst davor, deine Lust auf die Probe zu stellen, du wolltest die Sache mit Sasha nicht verderben, falls alles schiefging. Es war der größte Fehler deines Lebens, Sasha nicht zu ficken - das wurde dir mit brutaler Deutlichkeit klar, als sie sich in Drew verliebte, und du warst erschlagen von einer so extremen Reue, dass du zuerst geglaubt hast, es nicht überleben zu können. Du hättest dich an Sasha halten und gleichzeitig normal werden können, aber du hast es nicht einmal versucht - du hast die einzige Chance vergeudet, die Gott dir vor die Füße geworfen hat, und jetzt ist es zu spät.
Vor den anderen nahm Sasha oft deine Hand oder legte die Arme um dich und küsste dich - das war für den Detektiv. Überall konnte einer sein, konnte zusehen, wie ihr auf dem Washington Square eine Schneeballschlacht veranstaltet habt, wobei Sasha dir auf den Rücken sprang und ihre flauschigen Fäustlinge Fussel auf deiner Zunge hinterließen. Er war der unsichtbare Begleiter, den ihr über Schüsseln voll gedünstetem Gemüse im Dojo gegrüßt habt. (»Ich möchte, dass er sieht, wie gesund ich mich ernähre«, sagte sie.) Ab und zu stelltest du konkrete Fragen, die den Detektiv betrafen: Hatte ihr Stiefvater ihn noch einmal erwähnt? War sie ganz sicher, dass es keine Detektivin war? Was glaubte sie, wie lange diese Überwachung andauern würde? - aber diese Gedanken schienen Sasha zu ärgern, deshalb hast du irgendwann damit aufgehört. »Er soll wissen, dass ich glücklich bin«, sagte sie. »Er soll sehen, dass es mir wieder gut geht - dass ich noch normal bin, trotz allem, was
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