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Der groesste Teil der Welt

Der groesste Teil der Welt

Titel: Der groesste Teil der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Egan
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acht an der Bar vom Apple getroffen. Es war gerammelt voll mit Studenten. Sasha blickte sich immer wieder um, und du bist davon ausgegangen, dass sie nach dem Detektiv Ausschau hielt, deshalb hast du den Arm um sie gelegt und sie von der Seite aufs Gesicht und das Haar geküsst, das irgendwie versengt roch, und dass alles nur gespielt war, ließ dich so entspannt sein, wie es dir zu Hause mit Mädchen nie gelungen war. Worauf Sasha Schritt 2 erklärte: Ihr müsstet beide dem Gegenüber etwas erzählen, das es für euch unmöglich machen würde, jemals wirklich zusammen zu sein.
    »Hast du das schon mal gemacht?«, fragtest du, ungläubig.
    Sie hatte zwei Weißwein intus (wobei du zwei zu eins mit Bier mitgehalten hattest) und fing mit dem dritten Glas an. »Natürlich nicht.«
    »Also … und wenn ich dir sage, dass ich früher Kätzchen gefoltert habe, dann willst du nicht mehr mit mir ins Bett hüpfen?«
    »Hast du das?«
    »Ach Quatsch.«
    »Ich zuerst«, sagte Sasha.
    Sie hatte mit dreizehn zusammen mit ihren Freundinnen die ersten Ladendiebstähle begangen, hatte mit Perlen besetzte Kämme und glitzernde Ohrringe in ihren Ärmeln versteckt, um herauszufinden, wer mehr erbeuten konnte, aber bei Sasha war es etwas anderes - es durchfuhr sie dabei glühend heiß am ganzen Körper. Später in der Schule ging sie dann jeden Schritt so einer Eskapade durch, und sie zählte die Tage, bis sie es wieder tun konnte. Die anderen Mädchen taten es wegen des Nervenkitzels und um sich zu übertrumpfen, und Sasha musste sich alle Mühe geben, um ihre wahre Motivation nicht zu verraten.
    In Neapel stahl sie, wenn ihr das Geld ausging, Gegenstände aus Läden und verkaufte sie an Lars aus Schweden, und dann wartete sie auf seinem Küchenboden mit anderen hungrigen Jugendlichen, die Brieftaschen von Touristen, Modeschmuck oder amerikanische Pässe in Händen hielten. Sie beschwerten sich über Lars, der ihnen nie das gab, was ihnen zustand. In Schweden hatte er angeblich im Orchester Flöte gespielt, aber dieses Gerücht konnte auch von Lars selber in die Welt gesetzt worden sein. Sie durften seine Küche nicht verlassen, aber jemand hatte, bevor die Tür wieder zuging, ein Klavier erspäht, und Sasha konnte oft ein Baby weinen hören. Bei ihrem ersten Mal ließ Lars Sasha mit einem Paar knalliger Schuhe mit Plateausohlen, die sie aus einer Boutique geklaut hatte, länger warten als alle anderen. Und nachdem alle bezahlt worden und verschwunden waren, hockte er sich neben sie auf den Küchenboden und knöpfte seine Hose auf.
    Monatelang hatte sie mit Lars Geschäfte gemacht und war manchmal auch zu ihm gegangen, wenn sie nichts hatte stehlen können, aber trotzdem Geld brauchte. »Ich hielt ihn für meinen festen Freund«, sagte sie. »Aber wahrscheinlich habe ich damals gar nicht mehr nachgedacht.« Es ging ihr jetzt besser, sie hatte seit zwei Jahren nicht mehr gestohlen. »Ich war das nicht, damals in Neapel«, sagte sie zu dir und schaute in die überfüllte Bar hinaus. »Ich weiß nicht, wer das war. Sie tut mir leid.«
    Und vielleicht aus dem Gefühl heraus, dass sie dich herausgefordert hatte oder dass in dieser Kammer der Wahrheit, in der du und Sasha euch jetzt befandet, einfach alles gesagt werden konnte, oder dass sie ein Vakuum geschaffen hatte, das irgendein physikalisches Gesetz dich zu füllen zwang, erzähltest du ihr von James, deinem Teamkameraden: dass ihr zwei eines Nachts mit zwei Mädchen in Pops Wagen losgefahren wart, und nachdem ihr sie (früh - ihr hattet an dem Abend ein Spiel gehabt) nach Hause gebracht hattet, seid ihr an eine abgeschiedene Stelle gefahren und habt etwa eine Stunde allein im Wagen verbracht. Es war nur dieses eine Mal passiert, ohne Diskussion oder Übereinkunft, ihr zwei habt danach kaum noch miteinander gesprochen. Ab und zu hast du dich gefragt, ob du dir das alles nur eingebildet hast.
    »Ich bin nicht schwul«, hast du zu Sasha gesagt.
    Das warst nicht du, mit James im Wagen. Du warst anderswo und hast nach unten geschaut und gedacht: Dieser Schwule macht da mit so einem Typen rum. Wie kann er bloß? Wie kann er das wollen? Wie kann er damit leben?
     
    In der ub verbringt Sasha Stunden damit, einen Aufsatz über Mozarts Kindheit zu schreiben und dabei heimlich eine Cola light zu trinken. Da sie älter ist, hat sie das Gefühl, im Rückstand zu sein - sie belegt in einem Semester sechs Seminare und einen Sommerkurs, um in drei Jahren Examen machen zu können. Sie strebt einen

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