Der große Bio-Schmaeh
unterworfen. Gezeigt wird dann nur, was die Konsumentinnen und Konsumenten sehen und glauben »dürfen«. Manchmal sind der Werbung scheinbar gar keine Grenzen mehr für mediale Verzerrung gesetzt.
Im Auftrag von Spar begibt sich Mirjam Weichselbraun für die Kameras von
Natur*pur
früh morgens in den Hühnerstall eines alten, hölzernen Bauernhauses. Drinnen stößt sie auf eine einzelne Legehenne im dichten Stroh, mit viel Platz und einem Federnkleid, das an alte italienische Landrassen erinnert. Ganz besonders ist mir ein TV-Werbespot der Rewe-Marke
Ja!Natürlich
im Gedächtnis geblieben – und somit befinden wir uns auch schon vollends in der Märchenwelt des allabendlichen Fernsehwerbeblocks: Da ist ein Bauernhof zu sehen, der so richtig in Szene geworfen und zu einer filmreifen Bühne umgestaltet wurde. Vor dem urigen Holzhäuschen tobt eine kleine Hühnerherde umher. Im Hintergrund: ein nostalgischer Traktor aus den Sechzigern, ein Stapel Brennholz und ein handgemachter Holzzaun, der die ganze Szenerie einrahmt. Ein Picknickkorb auf einer karierten Decke, geziert von zarten Holunderblüten, gehört ebenfalls zum Szenario. Und zwei putzige Bauernkätzchen dürfen natürlich nicht fehlen. Ein Schauspieler hat sich in ein kariertes Hemd geworfen. Er ist der Bauer, der die Hühner liebevoll aus einer Küchenpfanne mit Maiskörnern füttern wird. Hinzu gesellt sich ein rosarotes, sprechendes Schweinchen, das dem Rewe-Konzern als entzückendes »
Ja!Natürlich
-Schweinderl« Tür und Tor in die Herzen der Österreicherinnen und Österreicher öffnet. Voilà, die Werbeidylle ist perfekt. Nach diesem Feuerwerk der Sinneseindrücke sagt der Werbesprecher nur mehr seinen Text auf: »Eier von überglücklichen Hühnern? – Ja, natürlich!« Die Abweichungen dieser werbemedialen Darstellungen von der Realität sind so gravierend, dass man sie nicht mehr so einfach ignorieren kann. Das falsche Spiel der Werbung lässt sich nicht mehr so ohne Weiteres als »Freiheit der Kunst« abtun. Denn es sind reale Erwartungen von Konsumentinnen und Konsumenten daran geknüpft. Die nächsten beiden Kapitel beschäftigen sich ausführlich mit der Welt des Bio TM -Marketings.
Mogelpackung Bio TM
Werbung oder Täuschung?
»Aber es ist wie in Hollywood: alles falsch,
alles Schwindel, alles Kulisse.«
16
(Dr. Thilo Bode, Gründer der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch)
Bio-Food Inc.
Bunte Schmetterlingswiesen neben idyllischen Bauerngärtchen. Bio-Pioniere, die festen Schrittes einsame Berggipfel in stürmischer Höhe erklimmen. Liebevolle Handarbeit zwischen romantischen Himbeerhecken. »Überglückliche Hühner« vor urigen Bauernhäuschen. Bio-Meisterbäcker, die hingebungsvoll und mit ihren eigenen Händen den Teig kneten. Aufnahmen »unberührter Natur« und aller Nationalparks, die Österreich zu bieten hat, in einem einzigen Werbespot vereint. Ja sogar weiß gekleidete Mönche beim Füttern einer kleinen Gruppe von Gänsen auf einer riesengroßen Sommerwiese und Bäuerinnen, die liebevoll Küchenkräuter aus dem Hausgarten ernten und im Innenhof Hühner streicheln. Resches Bio-Brot, das auf einem ländlichen Tanzfest direkt aus dem Holzofen serviert wird.
Konventionelle Lebensmittelkonzerne greifen tief in die Märchenkiste, um ihre Bio-Marketinglinien zu promoten. Mitunter geht es dabei auch ordentlich kitschig zu – und das, obwohl Kitsch eigentlich gar nicht zu der geerdeten Philosophie des Ökolandbaus passt. Insbesondere gemessen an den Werbestrategien unterscheidet sich Bio TM kaum vom konventionellen Lebensmittelmarkt. Die US-amerikanischen Journalisten Eric Schlosser und Michael Pollan brachten im Jahr 2008 gemeinsam mit dem Regisseur Robert Kenner einen Dokumentarfilm über die konventionelle Agrar- und Lebensmittelindustrie heraus. »Food, Inc.« – so lautet der Titel ihres enthüllenden Werks. Der Film beginnt, übersetzt aus dem amerikanischen Original, etwa so:
»Die Art und Weise, wie unsere Nahrung produziert wird, hat sich in den vergangenen 50 Jahren stärker verändert als in den 10.000 Jahren davor. Aber man verkauft uns noch immer das Image des ›Farmlandes Amerika‹. Wir gehen in den Supermarkt und wir sehen überall Fotos von Bauern und Bäuerinnen. Holzzäune, alte Bauernhäuser, saftig grünes Gras – die Fantasie der ländlichen Idylle! Die Industrie will nicht, dass wir wissen, wo unsere Lebensmittel herkommen. Wenn wir die Produkte aus dem Supermarkt zurückverfolgen, finden wir eine
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