Der große Bio-Schmaeh
in der konventionellen Landwirtschaft, wenn man sich am Gewicht orientiert. Aber eng bleibt eng, unabhängig davon, ob es auch Haltungsformen mit noch geringerem Platzangebot gibt. De facto lebt ein Bio TM -Masthuhn auf einer Stallfläche, die ungefähr eineinhalb DIN-A4-Seiten entspricht. Eine Bio TM -Legehenne hat eine DIN-A4-Seite mehr zur Verfügung.
Das Gesetz erlaubt einem Bio-Legebetrieb sechstausend Legehennen in zwei Stalleinheiten und einem Bio-Mastbetrieb neuntausendsechshundert Tiere, ebenfalls aufgeteilt auf zwei Stalleinheiten. Obwohl sich schon diese Vorgaben nach den Wünschen der Lebensmittelkonzerne und nicht nach den Bedürfnissen der Tiere richten, lassen sich manche Bio-Tierhalter Tricks einfallen, ihre Gesamtzahl an Hühnern noch weiter in die Höhe zu treiben. Es hat sich offenbar herumgesprochen: Wer das eigene Hühnerdomizil rein formal – also nur auf dem Papier – in zwei oder mehr Betriebe aufteilt, kann die zulässige Höchstzahl der Hühner und Stalleinheiten maßgeblich überschreiten, obwohl es sich in der Realität um nur einen Betrieb handelt.
Die Handelskonzerne und Geflügelgoliaths Österreichs wissen das natürlich. Und es scheint ihnen recht gut ins Konzept zu passen. »Wir versorgen fast alle österreichischen Supermärkte in allen Bundesländern mit unseren Eiern«, teilte mir ein Hühnerhalter aus Kärnten mit, während er mit einem festen Schlag die Stalltüre verschloss, auf dass der Hühnerteppich nicht aus dem vollen Fass auslaufe. »Unsere Zwischenhandelsfirma in Schlierbach weiß: Selbst dann, wenn es in Supermärkten einmal einen Engpass für Bio-Eier gibt, können sie bei uns immer welche abholen.«
Mit Fotomaterial aus meinen Recherchen saß ich kurze Zeit später am Institut für Nutztierwissenschaften der Universität für Bodenkultur in Wien. Ich traf den Universitätsdozenten Dr. Werner Zollitsch, den ich noch aus meiner Studienzeit kenne und schätze. Er sah sich Aufnahmen an, die ich in Bio-Hühnerställen gemacht hatte. »Diese Herde von fast fünftausend Tieren müsste man mindestens vierteln, um überhaupt in die Nähe einer wirklich artgemäßen Tierhaltung zu kommen«, war der erste Kommentar des Nutztierexperten. »Aber selbst Herden mit tausend Tieren wären eigentlich noch immer zu groß, um den Hühnern ein artgemäßes Sozialleben zu ermöglichen«. Die Tiere stünden in so großen Geflügelherden ständig unter Stress, so der Universitätsdozent, weil es ihnen unmöglich sei, eine stabile soziale Rangordnung zu entwickeln. Er erklärte mir: »Insbesondere in der Hühnermast ist, neben der hohen Besatzdichte, das Fehlen von Strukturen in den Masthallen ein Problem für die Tiere.« Auch Bio TM -Masthühner haben in der Praxis, im Gegensatz zu Legehühnern, zum Beispiel keine Sitzstangen. Diese wären aber notwendig, um angeborene Vogelbedürfnisse, wie das natürliche Ruheverhalten, befriedigend auszuleben. Die Füße der Hühner und Puten sind nicht für ein Leben auf ebenen Stallböden gemacht. Die Tiere brauchen erhöhte Sitzmöglichkeiten, die sie mit ihren Zehen umgreifen können, wie es Vögel eben tun. Einzelne Tiere versuchen immer wieder, sich auf die viel zu dicken Rohre der automatischen Futterlinien zu setzen, die der Länge nach durch den Stall verlaufen. Dass man den Masttieren Sitzstangen zum Ausleben ihrer elementaren Hühnerbedürfnisse verwehrt, hat in erster Linie wirtschaftliche Gründe. Einzelne Bio-Verbände empfehlen zwar Sitzstangen, doch Theorie und Praxis weichen auch in diesen Fällen maßgeblich voneinander ab. Wenn ich überhaupt auf erhöhte Sitzmöglichkeiten in Mastställen stieß – und das war meistens nicht der Fall –, dann hielten diese keiner näheren Überprüfung stand: Sie reichten nur für einen kleinen Teil der Hühner oder Puten, sodass nur die dominanten Tiere in den Genuss des erhöhten Sitzens kamen. In Putenställen traf ich gelegentlich auf einzelne Strohballen, die in der Werbung als »artgerechte Stallstrukturen« verkauft werden. Ebenfalls problematisch in derart großen Hühner- und Putenherden, egal ob in Lege- oder Mastbetrieben, sei die unzureichende Mensch-Tier-Beziehung, so der Nutztierwissenschaftler Zollitsch: »Bei solchen Dimensionen ist es nicht mehr möglich, regelmäßig durch den Stall zu gehen oder gar Beziehung zu den Tieren aufzubauen.« Auch dies ist aber im Sinne der artgemäßen Tierhaltung wichtig, da Hühner und Puten Kulturtiere sind, die seit Jahrtausenden an den
Weitere Kostenlose Bücher