Der große Bio-Schmaeh
Menschen gewöhnt sind und sich erst unter dessen Hand entwickelt haben.
Auslauf ins Freie! Oder doch nicht?
Kein Vorteil der biologischen Geflügelhaltung gegenüber der konventionellen Bodenhaltung wird in der Werbung offensiver ausgenutzt als der Auslauf, der Bio-Hühnern und Bio-Puten gesetzlich zur Verfügung steht. Jedem Masthuhn wird eine Freilandfläche von zwei Quadratmetern zugestanden. Bei Puten und Legehennen sind es zehn Quadratmeter pro Tier. Eines aber wissen viele Konsumentinnen und Konsumenten nicht: Ausgerechnet dieser Punkt – der Freigang ins Grüne – bietet unter Expertinnen und Experten Zündstoff für die heißesten Diskussionen. »Ich halte Geflügelherden ab tausend Tieren für Tierquälerei. Und mit dem Auslauf klappt es in diesen Dimensionen sowieso nicht mehr«, sagte mir der Besitzer eines kleinstädtischen Bio-Ladens, der seinen Eierbauern persönlich kennt und sich immer wieder davon überzeugt, dass dessen Hühnerherde nicht zu sehr in die Masse wächst. »Ich komme viel herum, weil ich landwirtschaftliche Erzeugnisse für mein Geschäft direkt bei meinen Bauern abhole«, erklärte mir der Kaufmann. »Und wann immer ich an einem dieser großen Bio-Ställe vorbeifahre, fällt mir eines auf: nämlich leer gefegte Auslaufflächen.« Diese Beobachtung hatte auch ich am laufenden Band gemacht, als ich in der Bio-Geflügel-Branche recherchierte. Obwohl ich an den Höfen über den gesamten Frühling und Sommer, zu verschiedensten Tageszeiten und während der unterschiedlichsten Wetterlagen auftauchte, suchte ich das idyllische Puten- oder Hühnervergnügen auf grünen Wiesen, das wir aus der Werbung kennen, vergebens. »Die Tiere gehen einfach nicht hinaus, das ist wirklich ein Problem«, sagte mir eine Bio-Hühnermästerin, während sie von der Masthalle aus mit dem Finger auf die Freilandfläche zeigte, die verlassen in der Nachmittagssonne lag. »Wir haben schon alles versucht. Sogar Sandhaufen haben wir draußen aufgeschüttet, weil Hühner ja von Natur aus gerne scharren.« Das habe auch nichts geholfen, erklärte mir die ratlose Landwirtin. Es seien nur wenige, einzelne Tiere hinausgegangen, die sich nicht weiter als fünf Meter unter den freien Himmel getraut hätten.
In Werbebeiträgen werden dennoch Auslaufflächen gezeigt, auf denen sich »viele« Hühner tummeln. Doch selbst wenn man hundert oder zweihundert Tiere vor der Halle sieht, dann bedeutet dies bei Herden dieser Größen, dass sich noch immer Tausende Hühner in der Enge des Stalls befinden.
Ein anderer Hühnermäster, der ähnliche Erfahrungen gemacht hatte, lieferte die Erklärung für die Auslaufprobleme gleich mit: »Die Herden sind einfach zu groß.« Dies sei in der Hühnermast noch problematischer als bei Legehennen, sagte er. »In dieser kurzen Zeit, in der die Masthühner bei uns sind, gewöhnen sie sich sowieso nicht an den Auslauf.«
Ich zeigte Werner Zollitsch, dem Universitätsdozenten an der BOKU, Fotos von Grünflächen rund um Lege- und Mastbetriebe mit Bio-Vertragsbindungen. Die Aufnahmen waren an sommerlichen Tagen entstanden. Sie zeigten angenehmes Wetter, nicht zu heiß und nicht zu kalt. Das perfekte Freilandwetter für Vögel. Doch zu sehen waren – wie gewohnt – leer stehende Gefilde trotz geöffneter Ställe. »Das ist kein Wunder!«, rief der Dozent aus. »Es fehlt an Strukturen, die die Tiere zur Deckung nutzen können.« Kein Vogel bewegt sich auf exponierten Flächen und ein paar einzelne Bäume oder Büsche reichen längst nicht aus. »Hühnerfeindlicher kann man den Platz nicht mehr gestalten, es fehlt nur noch, dass man einen Raubvogel darüber kreisen lässt«, schüttelte der Wissenschaftler seinen Kopf. »Überhaupt kann man sagen«, fügte er hinzu, »je größer die Herde, desto weniger Tiere gehen hinaus.« Sie sind einfach zu gestresst von dieser intensiven Haltung. Während es mit dem Auslauf bei Bio TM -Masthühnern so gut wie nie klappt, ist die Situation für Legehennen in manchen Betrieben etwas besser. Diese nämlich leben länger und haben daher mehr Zeit, sich an ihr Umfeld zu gewöhnen.
Eine typische Bio TM -Hühnermasthalle in Österreich. Vor der Halle befindet sich der exponierte Grünauslauf ohne Strukturen und Deckungsmöglichkeiten. In der Halle drängen sich Tausende von Tieren.
Die Auslaufluken sind darüber hinaus öfter geschlossen, als man es sich im Sinne der Tiere wünscht: Für Legehühner zum Beispiel an feuchten Tagen, wenn sich die Vögel ihre
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