Der große Bio-Schmaeh
werden.« Immer, wenn der Zählcomputer die Zahl Hundert erreicht und wieder auf Null zurückgeschaltet hatte, schob die Maschine automatisch eine neue, leere Kiste nach. Das musste wirklich rasch gehen, denn es dauerte nur wenige Augenblicke, bis wieder eine Kiste mit hundert Küken gefüllt war. So ging das ununterbrochen dahin.
Irgendwie geschah es, dass eines der kleinen Vogeljungen am Rande des Fließbandes zu Boden fiel. Es fing an, ganz nach Kükenart umherzutaumeln. Es bewegte seine kleinen, zerbrechlichen Flügel und stolperte verloren auf der kalten Betonfläche umher. Der Anblick war bemerkenswert, denn das flauschige Tier war auf diese Weise ganz unerwartet zu einem Individuum geworden. Es war aus dem anonymen Massenstrom herausgefallen. Ich sah den kleinen runden Kopf, die spiegelnden schwarzen Augen, die Minikrallen an seinen Füßen. Es war ein Küken! Ein eigenständiges, für sich existierendes Wesen, das den Mittelpunkt seines eigenen kleinen Vogeluniversums darstellte. Der Inhaber der Fabrik zögerte nicht lange, griff nach dem Küken und schleuderte es, wie einen Tennisball, zurück auf das Fließband. In diesem Augenblick verlor das Tier scheinbar wieder seine Identität und verschmolz mit dem gelben Kükenstrom, aus dem es gekommen war. Am Ende der Anlage wurden die Kisten mit Plastikdeckeln verschlossen, übereinander gestapelt und an der Laderampe für den Transport in die Mastbetriebe vorbereitet. In dieser Fabrik ist jeden Mittwoch Bio-Schlüpftag. Einmal in der Woche jagen also Bio-Küken über die Fließbänder, an den übrigen Tagen gehört dieselbe Anlage den konventionellen Vögelchen. Die Internetseite des Unternehmens wird von einem herzförmigen Symbol mit einem Küken geziert, das die Aufschrift »Ein Herz für Tiere« trägt.
Beim großen Brüten für die Eierproduktion geht es ähnlich zu. Bio-Legehühner, die dort schlüpfen, durchlaufen allerdings einen zusätzlichen Verarbeitungsschritt: Sie werden »gesext«, das heißt, männliche Küken werden aussortiert. Früher mussten die Fließbandarbeiterinnen und Fließbandarbeiter hierzu einen Blick auf die Intimteile der Vogeljungen werfen. Heute geschieht das rascher, schneller, effektiver. Internationalen Biotech-Konzernen ist es gelungen, ein spezielles Gen in das Erbgut der Tiere einzukreuzen, das noch im Ei zu unterschiedlich raschem Wachstum der Flügelfedern männlicher im Vergleich zu denen von weiblichen Küken führt. Weil man jetzt beim Spreizen des Flügels an der Federnlänge erkennen kann, ob es sich um eine künftige Henne oder einen Hahn handelt, sind Aufwand und Know-how beim Sortieren geringer und dadurch erhöht sich die Stundenleistung an den Akkordfließbändern. Der Prozess nennt sich »Federsexen«. Die weiblichen Küken werden (auf die bereits beschriebene Roboterart) automatisch gezählt und in Transportkisten verpackt. Das Förderband mit den männlichen Tieren hingegen führt in eine Einbahnstraße, an deren Ende der industrielle Tod durch rotierende Messer oder durch Erstickung in einer CO 2 -Gasanlage wartet. Die Verarbeitung der noch lebenden Küken zu Brei durch die Rotationsklingen wird von Fachleuten als »Homogenisierung 12 « bezeichnet.
Bio-Bauernhof oder Hühnerfabrik?
Ich klopfte an das Tor und betrat die Eierpackhalle. Es lief gerade ein Förderband, an dem die Hausherrin stand und Eier in Kisten verpackte. Ich befand mich in einem Legebetrieb – in einem Bauernhof, in dem Bio-Eier für fast alle österreichischen Supermarktkonzerne produziert werden. Die Ei-Abnahme erfolgt hier automatisch: Im Stall legen die Hühner ihre Eier über ein sogenanntes Automatiknest auf ein Fließband und jeden Vormittag setzen sich die Zahnräder der Anlage in Bewegung, um Tausende von Eiern durch eine Öffnung in der Wand in die Packhalle zu transportieren. Ebenfalls automatisch gesteuert werden die Tränke- und Fütterungsanlagen, die den Stall durchziehen.
Plötzlich geschah etwas Unerwartetes. Aus dem Schwarz der Luke tauchte, wie aus dem Nichts, eine Henne auf. Sie kauerte ängstlich und flach gedrückt auf dem Fließband, von dem sie mitgeschleppt wurde. Offenbar war sie aus ihrem Automatiknest aufs Förderband gerutscht. Ob so etwas öfter passiere, fragte ich. Es komme gelegentlich vor, antwortete die Landwirtin, während sie die Henne routiniert an den Hinterbeinen packte und durch eine kleine Türe zurück in den Stall bugsierte.
Meine Neugier wuchs. Ich wollte einen Blick hinter die Mauern werfen
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