Der große Bio-Schmaeh
ihrer Handelsgewohnheiten kaum dazu geeignet, ernsthaft zum Erhalt der Sortenvielfalt beizutragen«, schlussfolgerte ich. Der Gemüsehersteller stimmte zu. Dasselbe Ergebnis lieferten meine Recherchen bei einem biologischen Paprikaproduzenten: Die Laborsorten eines Biotech-Konzerns halten das Werk am Laufen, der Anbau alter Paprikasorten läuft nebenbei mit.
Die Bio TM -Marken versorgen uns das ganze Jahr über mit Designergemüse aus aller Welt, weil ihre Wirtschaftspolitik gar kein anderes Produktionssystem als das der Hochleistung zulässt. Sie sind also Mitverursacher des Schwundes an Sorten, nicht etwa Gegenspieler der landwirtschaftlichen Verarmung. So nebenbei legen sie uns einmal im Jahr, für wenige Wochen, ein paar Plastiktassen mit alten Tomatensorten ins Supermarktregal, direkt neben die Berge ihrer Bio-Hybridtomaten. Und wir sollen sie deswegen für Förderer der Sortenvielfalt halten? Die Konzerne überstrapazieren den verschwindend kleinen Anteil an samenfesten Sorten, der in ihrem Sortiment zu finden ist, zum werbemedialen Aufgebot mit Pauken und Trompeten. Dadurch gelingt es ihnen, ihr wahres Gesicht hinter einer bunten Maske der Vielfalt zu verbergen.
Der Weg zum aktiven Bio-Konsumenten
Was Sie tun können, um den Ökolandbau mitzugestalten
»Der kritische Konsument ist wichtig wie eine Wählerschaft, die mit der Geldbörse abstimmt. Doch vermag er nicht alles. Auch Entwicklungen außerhalb des Marktes sind nötig. Das derzeitige Agrarsystem schafft es vor lauter ökonomischen Zwängen noch länger nicht zur Nachhaltigkeit.«
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(Univ.-Prof. Dr. Bernd Lötsch, ehem. Direktor des Naturhistorischen Museums Wien)
Der Supermarkt als Wahllokal?
Jedes Mal, wenn wir ins Supermarktregal greifen, setzen wir ein Zeichen: Wenn wir konventionelle Billigtomaten aus Spanien kaufen, geben wir dadurch unser Einverständnis zu den Produktionsbedingungen: »Mar del plastico«, also »Plastikmeer«, so nennt man eine agrarindustrielle Region in der Wüste bei Almería in Spanien. Es handelt sich um die weltgrößte zusammenhängende Fläche von Intensivkulturen der Gemüseindustrie. Als »Plastikmeer« bezeichnet die ansässige Bevölkerung die Region deswegen, weil es sich um ein lückenlos mit Plastikgewächshäusern und Glashäusern zugepflastertes Gebiet handelt, das sich über dreihundertfünfzig Quadratkilometer erstreckt. Heerscharen von Erntehelfern arbeiten dort unter dem Druck der Massenproduktion für den Profit der Gemüsekonzerne. Ihre Löhne kommen einer Verspottung gleich, Überstunden werden meistens nicht abgegolten. Diese Menschen leben in Baracken, die man ihnen halbherzig aufgestellt hat. Die Böden der Region sind ausgelaugt und zerstört, das Grundwasser ist giftig, die Landschaft ruiniert. All das wollen die meisten von uns nicht. Deswegen könnten wir im Supermarkt an den Regalen vorbeigehen, die solche Produkte beinhalten, und die Ware liegen lassen. Denn schließlich sind ja wir, die Konsumenten, die Wählerschaft. Aber für welches Produkt sollen wir in den Supermärkten oder beim Discounter mit unserer Geldbörse abstimmen? Für Fleisch aus Tierfabriken? Für herkömmliches Industriejoghurt, das uns als »functional food« untergejubelt wird, weil es angeblich unser Immunsystem stärkt? Für »Wasabi-Geschmack-Nüsse« mit Betonung auf »Geschmack«, weil in dem Produkt kein einziges Gramm Wasabi verarbeitet ist? Oder sollen wir unsere Stimme den überflüssigen Limonaden schenken, die viel zu viel Zucker und Chemie enthalten?
So schlendern wir von Regal zu Regal und landen schließlich in der Bio-Abteilung. Hier könnten wir unseren Stimmzettel für die Nachhaltigkeit hinterlassen und noch dazu ein gutes Gefühl dabei haben. Doch Vorsicht: Ein Griff zu Bio-Tomaten oder Bio-Paprika im Supermarkt verschont uns nicht davor, dem »mar del plastico« in Almería unsere Vorzugsstimme zu geben. Denn dort wird inzwischen auch Bio-Gemüse produziert. Auf andere Gegenden trifft dasselbe zu: Die Region um Siracusa auf Sizilien gilt beispielsweise als weiteres Ballungszentrum der Plastikgewächshäuser und ausgebeuteten Arbeitskräfte. Von dort landen jedes Jahr große Mengen Bio-Gemüse und -Obst in den Bio-Regalen österreichischer Supermärkte und Discounter. Wenn wir dann am Fleischregal stehen, stellt sich wieder die Frage: Wofür sollen wir mit unserer Geldbörse stimmen? Für das konventionelle Grillhuhn? Oder vielleicht doch für das Bio-Huhn, das mit großer Wahrscheinlichkeit aus den
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