Der große Bio-Schmaeh
auf rasenden Förderbändern durch die Hallen der Geflügelindustrie gejagt. Wenn wir unser Recht auf faire, ökologische und vor allem auf transparente Nahrungsmittelproduktion konsequent einfordern wollen, müssen wir die schlafenden Riesenkräfte in uns wecken. Der erste Schritt könnte sein, mit der eigenen Geldbörse überhaupt nicht mehr für die »Greening Goliaths« zu stimmen und aus dem tonnenschweren Hummer auszusteigen. 84 Stattdessen könnten wir unsere Stimme den »Multiplying Davids« geben – den sich vervielfältigenden Klein- und Mittelunternehmen der Öko-Nische. Denn die ursprüngliche Strategie der Ökolandbaubewegungen war nicht etwa die Abgabe der Bio-Idee an die »Großen Fische«, sondern der Ausbau dezentraler und vielfältiger Vermarktungswege, ohne konventionelle Großkonzerne im Nacken. Es ist nicht zu spät, diese Strukturen zu entdecken, zu fördern und weiterzuentwickeln. 85 Durch uns Konsumenten ist eine Wiederbelebung der Bio-Idee im ursprünglichen Sinne möglich, denn am ökologischen Nischenmarkt ist die Ökolandbaubewegung zu Hause. Und der Ökolandbau ist in deren Händen naturgemäß am besten aufgehoben!
Demokratie beim Lebensmittelkauf!
Die Universitätsprofessorin und Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb fordert einen möglichst dezentralen Lebensmittelzugriff. In unserem Gespräch erklärte sie mir: »Das derzeitige zentralisierte System mit seinen Bündelungsstellen ist störungsanfällig. Es lässt sich nur unter enormem logistischem und technologischem Aufwand aufrechterhalten. Wenn es irgendwo zu einem Engpass kommt, brechen zentralisierte Systeme als Ganze zusammen. Der Zugriff auf Lebensmittel muss dezentral organisiert werden, um krisenfest zu werden.« Mit dieser Forderung ist die bekannte Wissenschaftlerin nicht allein.
Wir bestimmen, was wir essen!
»Ernährungssouveränität ist das Recht der Menschen, die Art und Weise der Produktion, des Konsums und der Verteilung von Lebensmitteln selbst zu bestimmen«, erklärte mir Franziskus Forster von AgrarAttac 86 , während er mir eine Infobroschüre in die Hand drückte. Ich schlug das Heftchen auf und mein Blick fiel auf eine Bleistiftzeichnung. Eine Großmutter las ihrem Enkelkind aus einem Märchenbuch vor: »Es war einmal ein riesiger gütiger Weltkonzern, der nur das Beste für die Menschen wollte«, war in die Sprechblase gekritzelt.
Während sich die Lebensmittelindustrie in den Medien als Wohltäter von Mensch, Tier und Umwelt inszeniert, schwebt Franziskus Forster und seinen Mitstreitern eine ganz andere Form der Lebensmittelversorgung vor: »Das Lebensmittelsystem ist in die Hände von wenigen Großkonzernen geraten – international ebenso wie in Österreich. Das steht der Idee der Ernährungssouveränität entgegen«, erklärte er mir. »Wir möchten neue Strukturen im Agrar- und Lebensmittelsystem unter Kritik der bestehenden aufbauen.« Ich erfuhr, dass es dabei um die sogenannte »Lebensmitteldemokratie« geht. »Wir Konsumierende dürfen uns nicht auf bloße Marktobjekte reduzieren lassen«, forderte der Student der Politikwissenschaften und Internationalen Entwicklung. »Gerade, wenn es um Ökolandbau geht«, so stellte er fest, »muss den Konsumierenden mehr Mitbestimmungsrecht eingeräumt werden.« Die Abstimmung mit der Geldbörse im Supermarkt sei eine Angelegenheit mit kurzen Beinen. Das funktioniere in der Praxis nicht so, wie man es sich vorstelle. Bei Discountern und in Supermärkten stünden wir lediglich am Ende einer langen Kette. Alle Entscheidungen über die Produktionsbedingungen vom Acker bis ins Regal seien schon gefällt worden, »und zwar entsprechend den Interessen der Konzerne«, räumte Franziskus Forster ein. Ich fragte nach der Lösung. »Wir müssen die Wertschöpfungskette für Lebensmittel verkürzen«, antwortete der Attac-Experte, »die derzeitige Trennung zwischen den Produzierenden und den Konsumierenden muss aufgehoben werden. Hier braucht es neue Ansätze.« Ich erfuhr, dass es neben der Direktvermarktung zwei gänzlich neue Konzepte gibt, um dies zu bewerkstelligen:
Lebensmittelkooperativen (Food Cooperatives)
Solidarische Landwirtschaft (Community Supported Agriculture)
Lebensmittelkooperativen sind Kollektive von Konsumenten, die sich mit Bauern zusammenschließen und ihre eigene Lebensmittelversorgung direkt und selbstbestimmt organisieren. In gemeinsamen Besprechungen wird entschieden, welche Produkte aus welchen Quellen gekauft werden. Die Ware wird über ein
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