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Der große Blowjob (German Edition)

Der große Blowjob (German Edition)

Titel: Der große Blowjob (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mattei
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Haus geteilt, woraus er offenbar ableitet, dass uns eine Art besondere Freundschaft verbindet. Dabei ist er ein prätentiöser Idiot, ein sogenannter Avantgarde-Theaterautor, der es im East Village Ende der Neunziger zwölf oder dreizehn Sekunden lang zu zweifelhaftem Ruhm gebracht hat, als er sich dort auf der Bühne eines winzigen Theaters einen Monat lang angekettet hat, halb als Protestaktion, halb als Performance. Er pinkelte den Tag über in eine Kristallschale, um den gesammelten Urin dann allabendlich um Schlag Mitternacht, vermischt mit Champagner, zu trinken, während er irgendwelche palästinensischen Dichter rezitierte. Ich bin ihm jahrelang aus dem Weg gegangen, aber letztens hat er mich bei Facebook geaddet und will sich ständig mit mir treffen, vermutlich hat er vor, mich demnächst um einen Job anzuhauen. Wie bereits angedeutet, kommt er aus wohlhabender Familie, aber sein Vater hat unklug investiert und 2008 fast sein gesamtes Vermögen verloren, sodass die monatliche Überweisung, von der Seth früher gelebt hat, auf ein Nichts zusammengeschmolzen ist und er arbeiten muss, um seine Miete und seine Arztrechnungen zu bezahlen. Er ist nämlich bipolar, und ohne seine Medikamente und die Therapie ist er zu nichts zu gebrauchen. Er will mich also zu dieser wirklich coolen Vernissage mit anschließender Party in Williamsburg einladen, woraus ich ableite, dass er mich bei diesem Anlass vielleicht fragen will, ob ich ihm irgendwie einen Job in der Werbung zuschanzen kann. Ich habe am Abend noch nichts vor, und weil ich wirklich Ablenkung brauche und mal wieder unter Leute sollte, sage ich ja. Dann bereue ich das sofort, aber das weiß er noch nicht. Er fragt, wie es bei der Arbeit so läuft, und ich beende das Telefonat unter dem Vorwand, dass ich im Aufzug keinen Empfang mehr habe, dabei bin ich noch gar nicht im Aufzug.

1.8
    Ich bin vor Seth in der Galerie. Es handelt sich um einen Laden im Gewerbe-Teil der Johnson Avenue, wo früher Skateboards verkauft wurden, und heute haben ihn die drei Typen gemietet, die das Rodney Magazine gegründet haben, und zeigen dort Kunst. Da das Rodney Magazine in Bushwick der Inbegriff von cool ist, und Bushwick in New York der Inbegriff von cool ist, ist dieses Blatt das ödeste Ding auf der ganzen Welt. Normalerweise sehe ich schon rot, wenn ich nur an das Rodney und die dazugehörige Szene denke, und meide dieses Scheiß-Pack komplett, aber heute bin ich hier, um den zum Yogalehrer mutierten armseligen Ex-Junkie zu treffen und mir sein Geschwafel darüber anzuhören, wie tot das Avantgardetheater inzwischen ist, ernsthaft, es ist eine Tragödie, ich meine, selbst Heiner Müller hätte heute Mühe, seine Sachen irgendwo aufführen zu lassen. Die Nummer ist so unfassbar armselig, dass sie mich vielleicht gerade deswegen so ungemein aufheitert.
    Die Galerie ist brechend voll, und wie ein wuchernder Pilz breitet das junge Publikum sich bis auf die Straße aus. Nie zuvor habe ich an einem Ort so viele Leute gesehen, die total gleich aussehen: alle weiß, alle im gleichen Alter, alle tragen die gleiche Kleidung, haben die gleichen Bärte, den gleichen Musikgeschmack und sozioökonomischen Hintergrund, die gleichen Schuhe, politischen Ansichten und Frisuren. Was sie aber wirklich vereint, nehme ich an, ist die Wahnvorstellung, sie wären Rebellen, radikale Individualisten, die ihren ganz eigenen, subversiven Stil geschaffen haben.
    Ich drehe rasch eine Runde, kann Vishnu aber nirgends in der Menge entdecken. Er kommt sowieso immer zu spät, das ist eine seiner vielen Macken, die mich nerven ohne Ende. Ich quetsche mich durch den Eingang, vorbei an einem Mädchen in einem Obama-T-Shirt nach dem Motiv von Shepard Fairey. Sie hat Obama die Augen rausgeschnitten, und aus den Löchern gucken ihre Nippel raus. Schwer zu sagen, ob sie das irgendwie ironisch meint, oder ob sie überhaupt irgendwas damit meint, vielleicht ist es bloß Zufall, dass ihre Nippel jetzt die Augen des Präsidenten sind. Dann begreife ich jedoch die Verbindung zu der ausgestellten Kunst. Die Sache läuft unter «Zeig uns deine Titten!», zu sehen sind haufenweise total amateurhafte Fotos von Mädchen, die in Bars, bei Partys, auf der Straße und so weiter ihr Oberteil hochziehen. Eine ironische Wiederaneignung schlechter Fernsehformate von vor über zehn Jahren und künstlerisch auf der absoluten Höhe der Zeit, noch dazu mit Einhörnern.
    Insgesamt ist die Show ziemlich gut. Viele der Fotos sind so

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