Der große Blowjob (German Edition)
Aufwertung», was im Klartext so viel heißt wie: «Könnt ihr versuchen, diesem atemberaubend langweiligen, mehr oder weniger maschinell erstellten Schwachsinn so etwas wie einen Funken Menschlichkeit einzuhauchen?» Das geschieht in der Regel über das Casting, bei dem man menschlich wirkende Akteure zu finden versucht, die am Ende vor der Kamera stehen, freundlich lächeln & eine rundum lebensbejahende Ausstrahlung vermitteln. Daumen hoch fürs Leben. Das kommt eigentlich immer gut an. Ist der Werbespot dann fertig, feiern wir uns und unsere Leistungen bei einer brancheninternen Preisverleihung mit anschließendem Festbankett, bei der wir Auszeichnungen in Kategorien wie «Bestes Editing bei einem fünfzehnsekündigen Direct-to-Consumer-Spot im Rahmen einer Online-Kampagne, Sparte Pharmaprodukte» und so weiter abräumen.
Im achten Stock verliere ich regelmäßig den Überblick. Von den Aufzügen aus kann man in zwei Richtungen gehen, zu den Toiletten oder zum Empfang. Hat man sich entschieden, gibt es wieder die Möglichkeit, entweder nach links oder nach rechts zu gehen, sodass man sich letzten Endes zwischen den vier Himmelsrichtungen entscheiden muss. Ich vergesse jedes Mal, wo die Büros der Leute sind, mit denen ich etwas besprechen muss, & so drehe ich letzten Endes immer eine Runde durch den Flur, der einmal um die Etage herumführt, bis ich unterwegs fündig werde. Heute entscheide ich mich, in Richtung Empfang zu gehen. Die Rezeptionistin macht offenbar gerade Pause, denn da sitzt eine Aushilfe, ein Typ, der aussieht wie ein jüngerer Paul Rudd mit Bart, offenbar ein aufstrebender Schauspieler ohne Treuhandfonds von Mami und Papi im Rücken. Mit anderen Worten, ein hoffnungsloser Fall. Vom Empfangstresen aus wende ich mich nach links und gehe in Richtung der Seite, die auf die 53 rd Street rausgeht. Bei den Büros angekommen, die einen Ring um den offenen Großraumbereich bilden, biege ich einfach mal rechts ab und trete meinen Rundgang an. Alle blicken von ihrer Arbeit auf, winken oder grinsen. Eine Reaktion, die sie kaum zeigen würden, wenn jemand anders den Flur entlangkäme, doch wenn man eine Dynamik der Furcht erzeugt, hat das verstärkte Kriecherei und übertriebenes Lächeln zur Folge. Unser armer Möchtegernschauspieler, der nur zur Aushilfe hier jobbt, meint offenbar, seine Seele retten zu können, indem er sich diesen Bürogepflogenheiten radikal entzieht und mit betont unbeteiligter Miene dasitzt. Dabei übersieht er allerdings, dass das verlogene Getue, zu dem seine gefühllosen Kollegen nun mal gezwungen sind, weit mehr Schauspieltalent, Hingabe und Können erfordert, als er auf seinen diversen Off-Bühnen je zu sehen bekommen wird.
Falls mich jemand fragt, sage ich, dass ich zu Tom Bridge will, wobei ich zufällig weiß, dass Tom gerade in Prag eine Reihe Werbespots für einen Reifenhersteller dreht. In der Ecke angelangt, biege ich nach rechts ab (eine andere Möglichkeit gibt es auch nicht, es sei denn, ich würde umkehren) und sehe dann Toms Assistenten, einen Hipster-Clown namens Jake. Clown nenne ich ihn, weil er tatsächlich einer ist. An den Wochenenden arbeitet er in einem Kinderkrankenhaus in Westchester. Anscheinend war er früher drogenabhängig und hat sich dann im Rahmen seines Entzugsprogramms zum Clown ausbilden lassen. Wir haben ihn sogar mal hausintern mit unserem Preis «Guter Mensch des Monats, ganz ernsthaft und ohne jede Ironie» ausgezeichnet.
Jake der Clown sieht mich durch den Flur kommen und fragt: «Wollen Sie zu Tom?» Kurz weiß ich nicht, ob ich lügen und ja sagen soll, da dies ja der vermeintliche Grund für meinen Abstecher auf diese Etage ist, oder ob ich lügen und nein sagen soll, da dies der Wahrheit entspricht. Was aber bedeuten würde, dass ich aus einem anderen Grund hier bin, und diesen Grund möchte ich nicht preisgeben.
Ich entscheide mich für einen Kompromiss. «Ist er nicht in Prag?», erwidere ich.
«Er sollte gestern Abend fliegen, aber sein Flug wurde kurzfristig gestrichen, können Sie sich das vorstellen, es war ein Albtraum, er fährt in einer Stunde zum Flughafen, ich kann Sie vielleicht noch reinschieben, kleiner Scherz.» Ich starre Clown Jake an, heute ganz im Eighties-Look. Zu einer Nylonhose voller Reißverschlüsse trägt er eine Trainingsjacke mit dem Aufdruck «Members Only» & ein Palästinensertuch, das er locker um den Hals geschlungen hat, und mir drängt sich unwillkürlich die Frage auf, wie wohl sein Clownskostüm
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