Der große deutsche Märchenschatz
Turmuhr den vierten Schlag, da fing das Tier, worauf er saÃ, sich zu bewegen an; sie schlug den fünften Schlag, da ging es vorwärts; sie schlug den sechsten Schlag, da stand es still; sie schlug den siebenten Schlag, da erhob sich das Tier abermals, nahm einen Anlauf und â ging rückwärts! Vergebens suchte er sich hinabzuwerfen. Bei einem flüchtigen Strahl des Mondes erschien ihm sein gepanzertes Ross als ein schauriges Ungeheuer mit zehn Beinen; von jeder Seite erhob es eine riesige Schere und kniff und hielt ihn fest an den Armen. Er schrie nach Hilfe. Umsonst! Immer weiter kam er von dem Schlosse zurück, immer näher rückte der entscheidende Augenblick. Die Turmuhr brummte einen Schlag nach dem anderen herunter und endlich den zwölften. Noch einmal sah er den Wunderbau vor seinen Blicken in hellem Schimmer aufleuchten, aber in demselben Moment hörte er auch die Torflügel mit gewaltigem Prasseln zusammenschlagen. Der Eingang zum Schlosse des Glücks war für immer verschlossen; und als er beim Scheine des flammenden Lichtes das Ungeheuer, das ihn immer weiter und weiter rückwärts riss, näher betrachtete, siehe, da war es ein ungeheurer Krebs.
Wo er auf diesem Rosse hingekommen, weià niemand zu sagen. Kein Mensch hat sich weiter um ihn bekümmert.
Sein Kamerad aber ward von der schönen Herrin des Schlosses aufs Freundlichste empfangen und aufs Köstlichste bewirtet; auch soll sie ihm Zeit seines Lebens behilflich gewesen sein, groÃe Dinge zu vollbringen, seinen Mitmenschen Freude zu bereiten und Notleidende zu unterstützen.
Der Heinzelstein
Es lebte einmal vor langen Jahren ein braver Förster. Sein treues Weib hatte er schon früh verloren, und von fünf munteren Kindern war ihm nur noch der kleine Willibald übrig geblieben. Der aber wurde groà und stark, lernte fleiÃig und übte sich besonders gern im Laufen, Klettern und Springen. Er fürchtete sich vor keinem Wagnis und scheute keine Gefahr. Dabei war er des Vaters ganzer Stolz und seine einzige Freude sowie der Liebling aller, die ihn kannten.
Eines Morgens brachte Willibald mehrere Freunde mit heim aus der Schule, um mit ihnen am Nachmittag in den waldbewachsenen Bergen Haselnüsse und Blaubeeren zu suchen. Sie fanden auch reiche Beute und schmausten nach Herzenslust. Dann füllten sie ihre Taschen und Körbe mit den süÃen Früchten, und die Sonne neigte sich bereits zum Untergange, als sie an den Heimweg dachten. Der führte sie am Heinzelstein vorbei. Der Heinzelstein war ein groÃer Granitfelsen, welcher dem mächtigen Rotifax gehörte, dem Könige des Zwergenvolkes, welches in dem Gebirge sein Wesen trieb. Hinauf waren schon manche kühne Burschen geklettert, aber seit Menschengedenken hatte es noch keiner vermocht, über die zackigen Spitzen wieder herniederzusteigen; nach einigen Tagen fand man stets die zerschmetterte Leiche des Unglücklichen am FuÃe des Felsens liegen.
»Der Zwergkönig muss doch ein ganz böser Mann sein, dass er jeden tötet, der es wagt, die Zinnen seiner Felsenburg zu erklimmen«, meinte einer von Willibalds Gefährten. »Ach, das glaube ich gar nicht, ich will es doch einmal versuchen«, rief Willibald mutwillig aus, »mir wird der kleine Kerl gewiss nichts zuleide tun!« â »Oh nein, komm schnell fort, du möchtest deinen Leichtsinn sonst bitter bereuen und mit dem Tode büÃen müssen.« Also warnten die Kameraden, aber Willibald lieà sich schon nicht mehr zurückhalten. »Wo ich hinaufkomme, da werde ich auch sicherlich einen Rückweg finden«, sagte er lachend, lief zum Felsen und klomm an den glatten Steinen hinan. Schwer magâs ihm doch geworden sein, denn er hielt oftmals inne, um Atem zu schöpfen; aber als der Heinzelstein von den letzten Strahlen der Herbstsonne purpurrot erglühte, da stand Willibald triumphierend oben auf der höchsten Spitze, warf den angstvoll zu ihm emporblickenden Kameraden seine Kappe vor die FüÃe und rief: »Hier istâs gar zu schön auf den Zinnen von Rotifaxâ felsiger Burg. Da sehe ich so weit ins Land hinein, bis ans Meer sogar und über Berge hinweg, die doch weit höher sind wie der Heinzelstein.« â »Jetzt steig aber herunter«, baten die Gefährten, »sonst wird es dunkel. Dein Vater ängstigt sich, wenn wir nicht heimkommen.« â »Ihr habt recht«,
Weitere Kostenlose Bücher