Der große deutsche Märchenschatz
Gewalt zwingen könnte. Wenn du mir nicht deine zwei Diener geben willst, so gib mir wenigstens einen und ich verspreche dir alle Schätze des Meeres! Ich will dir einen Palast von Perlen bauen und ihn mit Diamanten besetzen; aber gib mir einen deiner Diener!« â »Mach dich fort, Unverschämter!«, schrie Siegmund und rief seine Diener herbei.
Da blitzte es am klaren Himmel, das Wasser hob sich in die Höhe und eine Wolke sank herab und vereinigte sich mit dem Meere. Wo sie aber zusammenhingen, bildete sich eine Säule, die sich im Wirbel herumdrehte und Siegmund näherte. Er hatte nicht mehr Zeit, zu entfliehen. Der Wirbel erfasste ihn und zog ihn im Kreise unter die Wellen. Als er wieder zu sich kam, war er in einem Gemach, dessen Wände waren von Perlmutter; daran hing ein groÃer Spiegel, den ein grüner Vorhang bedeckte. Vor ihm aber stand der Greis, mit dem er oben auf dem Felsen gesprochen hatte. »Siegmund«, redete er ihn mit sanfter Stimme an, »kennst du mich?« â »Ja, ich kenne dich«, sagte Siegmund, »und ob ich gleich in deiner Gewalt bin, so werde ich doch nie deinen Willen tun!« Da lächelte der Alte und sprach: »Ich freue mich, dass du mein Wort so wohl bewahrt hast, das ich dir mitgab, als ich dich durch den Felsengang auf jenen Berg führte: âºTu recht und scheue niemand!â¹ Ich wollte sehen, ob der Ehrgeiz dir mehr gilt als die Pflicht; du hast deine Probe glücklich bestanden. Du bist also entschlossen, den Prinzen Siegmund seinem Vater zurückzubringen â wohlan denn, hier ist er!«
Mit diesen Worten zog er die Decke von dem Spiegel weg und Siegmund erblickte darin sein eigenes Bild. Darauf erklärte ihm der Alte, wie es mit seiner Geburt zugegangen war und wie der Hirte ihn erzogen und wie er selbst ihn als Goldamsel durch die Erde auf jenen Berg geführt hatte. »Jetzt zieh wieder heim!«, sagte er. »Der König wird dich als seinen Sohn erkennen!« Dann nahm ihn der Alte bei der Hand und führte ihn durch einen langen Gang aufwärts, und als er sich umsah, stand er auf dem Felsen, wo seine Diener eingeschlafen waren. Da weckte er sie auf, damit sie die Pferde sattelten; dann ritten sie eilig der Stadt zu.
Unterdessen war aber dem König Christoph der Alte wieder im Traum erschienen und hatte ihm erklärt, dass Siegmund sein Sohn sei. Da wusste sich der alte König vor Freude nicht zu fassen. Er rief alle seine Diener zusammen und zog am frühen Morgen hinaus seinem Sohn entgegen. Seine Augen spähten auf der Ebene umher; aber er sah ihn nicht. Als sie jedoch gegen Mittag um eine Bergecke bogen, da hielt Siegmund mit seinen Dienern vor ihm. »Mein Sohn!«, rief der Alte im höchsten Entzücken und lieà sich geschwind vom Pferde helfen; aber seine FüÃe wollten ihn nicht mehr weiter tragen. Da sprang Siegmund schnell vom Pferd und eilte zu ihm hin. »Mein Sohn!«, sprach der König. »Ich habe dich endlich wiedergefunden, nach dem ich so lange suchte. Aber die Weissagung wird in Erfüllung gehen: âºEr wird dich nicht kennen, und wenn er dich kennt, so wird er dich töten!â¹, sprachen die drei Schwestern. Ach, nun tötet mich die Freude!« Dann lieà der König Christoph sein Haupt sinken und starb. Siegmund betrauerte seinen Vater von Herzen. Er brachte ihn in die Stadt und verlieà drei Tage sein Lager nicht; am vierten aber ward der König begraben mit aller Pracht, und die ganze Stadt folgte dem Leichenzuge. Darauf wurde Prinz Siegmund zum König ausgerufen. Als er nun König war, suchte er die Kinder des Hirten auf, der ihn erzogen hatte, nahm sie zu sich an seinen Hof und lieà einem jeden einen eigenen Palast bauen. Dem alten Gärtner aber, bei dem er gearbeitet, schenkte er den ganzen Garten; bloà den Apfelbaum, der die Königsäpfel trug, behielt er für sich. Geliebt und geehrt von seinem Volke lebte er noch viele Jahre und erreichte ein hohes, glückliches Alter.
Der Faule und der FleiÃige
Zwei Leute, ein FleiÃiger und ein Fauler, gingen eines Morgens mitsammen über Feld. Da sahen sie vor sich, weit ins Land hinein, ein glänzendes Schloss auf dem Berge liegen; es funkelte in der Sonne, dass es eine wahre Lust war, dahinzuschauen. »Dort lass uns hingehen!«, sagte der FleiÃige. »Ja, wer nur erst da wäre!«, sprach der Faule. »Das könnt ihr noch heute«, sprach eine helle
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