Der große deutsche Märchenschatz
junge Königssohn umarmte sie und nannte sie seine Braut. Diener gingen aus und ein, im Schlosshofe war ein Pferdegetrappel. Sie gingen ans Fenster: Da war um sie nicht mehr die alte Wildnis. Eine prächtige Stadt stand da, und weiterhin sah man auch fruchtbare Felder und viele glückliche Fluren und Dörfer, und in den StraÃen war ein Gewühl, und alles ging so ordentlich, als wäre da gar kein Wunder geschehen, als wäre alles beim Alten. Niemand schien etwas davon zu wissen.
Auch in den Saal kamen einige Diener. Da lieà der König den Königssohn nehmen und seine Tochter Pyrola und lieà sie setzen in eine prächtige offene Kutsche, vor die er zwölf Schimmel spannen lieÃ. Und vierundzwanzig Männer, in Purpur und Gold gekleidet, lieà er vorausreiten mit Posaunen und lieà den Königssohn und seine Tochter Pyrola ausrufen als König und Königin des Landes. Darauf wurde ein köstliches Mahl gehalten, wobei es an nichts fehlte, was den Tag verherrlichen konnte.
Und wie sie so dasaÃen in groÃem Jubel, lieÃen sich zwei fremde Ritter melden. Man lieà sie ein, und siehe da, es waren des jungen Königs Brüder. Und abermals wurde ein Fremdling gemeldet, und als er hervortrat, da sprangen die drei Königssöhne von ihren Sitzen und bewillkommneten ihn mit Freudengeschrei: Es war ihr Vater. Er hatte sich aufgemacht, seine verlorenen Söhne zu suchen, und war eben in dieser Stadt angekommen.
Drei Monate blieb der Vater der Königssöhne da, und solange er da war, dauerten die Feste, wovon immer eines das andere an Pracht übertraf. Dann zog er mit seinen zwei ältesten Söhnen heim. Sie sollen sich von ihren ehemaligen Fehlern gebessert und in des alten Königs Reich geteilt haben. Auch soll der älteste die Prinzessin Rubina, der zweite die Prinzessin Briza zur Gemahlin genommen, und beide sollen lange und glücklich regiert haben. Der jüngste aber und Pyrola wurden noch über hundert Jahre alt und beglückten ihre Untertanen. Ein fremder König regierte nach ihm auf seinem Throne, und durch ihn wurden die Menschen wieder so verschlimmert, dass eine groÃe Sintflut über das Land kam. Und seitdem ist jenes Land, das Land der Märchen, versunken, und nur noch diese Sage ist von ihm übrig geblieben.
Das Erdkühlein
Ein guter armer Mann hatte eine Frau und von ihr zwei Töchterlein, und ehe dieselbigen Kindlein, von denen das kleinere Margaretlein und das gröÃere Annelein hieÃ, erwachsen waren, starb ihm die Frau, und deshalb nahm er eine andere. Nun warf eben diese Frau einen Neid auf das Margaretlein und hätte gerne gewollt, dass es tot gewesen wäre, doch es selbst umzubringen fand sie nicht den Mut, und so zog sie mit Listen das ältere Maidlein an sich, dass es ihr hold und der Schwester Feind war.
Und einmal begab es sich, dass die Mutter und die ältere Tochter beieinandersaÃen und beratschlagten, wie sie ihm doch tun wollten, dass sie des Maidleins abkämen, und beschlossen endlich, dass sie miteinander in den Wald gehen wollten und das Maidlein mitnehmen, und in dem Wald wollten sie das Maidlein verschicken, dass es nicht mehr zu ihnen kommen könnte.
Nun stand das Maidlein vor der Stubentür und hörte all die Worte, so seine Mutter und Schwester wider es redeten und Ursache zu seinem Tode suchten; da war es sehr betrübt, ohne jede Ursache so jämmerlich zu sterben und von den Wölfen zerrissen zu werden. Und also betrübt ging es zu seiner Dotten und Göttel, die es aus der Taufe gehoben hatte, und klagte ihr die groÃe Untreue und das tödliche, mörderische Urteil, so über sie von der Schwester und Mutter geschehen. »Nun wohlan«, sprach die gute alte Frau, »mein liebes Kind, alldieweil deine Sache eine solche Gestalt hat, so geh hin und nimm Sägemehl, und wenn du deiner Mutter nachgehst, streue es vor dir hin! Laufen sie hernach schon vor dir, so geh du derselbigen Spur nach, dann kommst du wieder heim.«
Die gute Tochter tat, als ihr die gute Frau befohlen hatte. Und wie sie hinaus in den Wald kam, setzte sich ihre Mutter nieder und sagte zum älteren Maidlein: »Komm her, Annelein, und such mir eine Laus. So geht dieweil das Gretlein hin und klaubt uns drei Bürden Holz; so wollen wir an diesem Ort sein warten, danach gehen wir miteinander heim.«
Nun, das arme Töchterlein zog hin und streute vor sich das Sägemehl (denn
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