Der große deutsche Märchenschatz
waren.
Als sie am andern Morgen erwachten, lag jeder zwar in einem schönen Zimmer, aber alles war so verschlossen, dass keiner von ihnen herauskommen konnte. Und bei dem ältesten stand das eisgraue Männlein mit dem langen Bart und winkte ihm, dass er ihm folge. Dieser folgte ihm, aber ganz ängstlich, und sie gingen ein durch den goldenen Eingang und kamen in einen groÃen geräumigen Saal, darin alles von getriebenem Gold gearbeitet war. Und der Alte wies mit seinem schwarzen Stab über die Türe. Da standen die Worte:
Jeder Fremdling, der die Schwelle dieses Schlosses betritt, muss es versuchen, drei Arbeiten zu vollbringen. Wenn er diese glücklich ausführt, so ist sein Glück auf immer gegründet. Vollbringt er sie nicht, so mag er als Stein bis zur Stunde der Erlösung harren auf dem Flecken, wo ihn der letzte Strahl der Abendsonne bescheint.
Als der älteste Königssohn diese Worte gelesen, begehrte er die erste der Arbeiten zu wissen und stand zwischen Furcht und Hoffnung, ob er sie wohl vollbringen könnte. Da berührte das Männlein mit seinem Stabe die Wand, und es sprang eine Tür auf, und der Königssohn sah ein Gemälde, das stellte die Gegend dar, wo der Ameisenkönig seinen jüngsten Bruder angeredet hatte. Und darunter standen die Worte:
Dreitausend Perlen, der Hauptschmuck der Prinzessin Pyrola und ihrer zwei Schwestern, liegen hier im Moose zerstreut. Diese hast du zu sammeln, dass auch die letzte nicht fehlet!
Aber der Königssohn erkannte die Gegend und eilte hinaus und sammelte eifrig. Aber Mittag kam, und er hatte nicht hundert beisammen. Die Sonne ging unter, da hatte er noch nicht dreihundert gesammelt. Und der letzte Sonnenstrahl traf ihn, da sank er nieder und war Stein.
Den andern Morgen stand das graue Männlein beim zweiten Königssohn und winkte ihm mit seinem schwarzen Stabe, dass er ihm folge, und er folgte ihm. Und das Männlein zeigte ihm auch die Ãberschrift über der Türe im goldenen Saale und zeigte ihm das Gemälde. Da eilte der Bruder auch hinaus und sammelte emsig und sammelte bis an den Abend. Aber er hatte keine dreihundert der kleinen Perlen beisammen, da ging die Sonne unter, und er sank nieder und war ein Stein wie sein Bruder. Nun kam der dritte Morgen. Da stand das eisgraue Männlein bei dem jüngsten Königssohn und führte auch ihn in den Saal und lieà ihn die Schrift lesen über der Türe und zeigte ihm das Gemälde und winkte ihm, hinauszugehen, weil er traurig dastand.
Da ging der dritte Königssohn hinaus und sah die kleinen, kleinen Perlen so weit zerstreut und im Moose versteckt. Und als er das sah und merkte, dass es unmöglich sei, sie zu sammeln bis auf die letzte, da setzte er sich hin und weinte bitterlich und beklagte seinen armen Vater, der jetzt alle seine Kinder verloren habe. Und wie er so weinte und wehklagte, da hörte er eine Stimme ihm rufen: »Warum weinst du, lieber Fremdling?« Da sah er auf und erblickte den Ameisenkönig und klagte dem seine Not. Der Ameisenkönig aber sprach: »Ist es weiter nichts? Oh, dann sei nur ruhig, dann soll dir bald geholfen sein!«
Als er dies gesagt, ging er in den Ameisenhaufen und kam bald mit mehr denn fünftausend Ameisen hervor, und alle sammelten an den Perlen und zählten sie dem Königssohn in den Hut. Und als er sie alle hatte bis auf die letzte, da sprach der Ameisenkönig: »Gehe hin, du hast sie alle! Und danke mir nur gar nicht, denn du hast noch mehr verdient als diesen kleinen Gefallen.« Da lief der jüngste Königssohn hinein in das Schloss und brachte dem Männlein die Perlen. Und das eisgraue Männlein erstaunte darüber und führte ihn wieder in den goldenen Saal und berührte eine andre Wand. Diese tat sich wieder auf, und es stellte sich ein Gemälde dar, das den See bedeutete, worauf der Entenschwarm sich aufhielt, und darunter standen die Worte:
In der Tiefe des Sees liegt der Schlüssel zu dem Schlafgemach der Prinzessin Pyrola und ihrer zwei ältern Schwestern. Du musst ihn gefunden haben, ehe die Sonne niedergehet.
Und der Königssohn erkannte den See und eilte hinaus und kleidete sich aus, um hineinzuwaten und den Schlüssel zu suchen. Doch wie er hineinsteigen wollte, da schwamm der König der Enten zu ihm her und fragte: »Was begehrst du, lieber Fremdling?« Da sagte der Königssohn, was er in dem See suchen wollte. Aber der
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