Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der große deutsche Märchenschatz

Der große deutsche Märchenschatz

Titel: Der große deutsche Märchenschatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
Vom Netzwerk:
dieselbige Milch von mir, so will ich dir Seide und Samt genug zutragen. Davon mach dir schöne Kleider, wie du sie begehrst. Denk aber daran und sieh zu, dass du nichts über mich erzählst. Wenn schon deine eigene Schwester zu dir kommt, so lass sie nicht herein, damit ich nicht verraten werde, dass ich an diesem Ende bin! Sonst hätte ich das Leben verloren.« Ging nach solchen Worten an seine Weide und brachte dem Maidlein des Abends, wenn es heimkam, Seide und Sammet, davon sich das gute Gretlein so schön kleidete, dass es wohl mit einer Fürstin hätte verglichen werden können.
    Als sie nun in dem anderen Jahr also beieinander gewesen waren, begab es sich, dass dem größeren Maidlein, so daheimgeblieben war und geholfen hatte, das junge Gretlein, sein Schwesterlein, ohne alle Schuld in das Elend zu jagen, in den Sinn kam, wie es denn wohl seinem Schwesterchen gehen möchte, das mit ihrer Hilfe ins Elend gejagt worden war. Kläglich hob sie an zu weinen und die Untreue zu bedenken, die sie ihr ohn alle Schuld bewiesen hatte, kam in summa in eine solche Reue, dass sie nicht mehr bleiben konnte oder mochte, sondern sehen wollte, ob sie doch irgendein Beinlein von ihrem Schwesterlein finden möchte, damit sie dasselbige heimtrüge und es in Ehren hielte.
    Und eines Tages ging sie morgens früh in den Wald und suchte und trieb solches Suchen mit kläglichem Weinen so lange, bis sie sich im Wald ganz und gar verlaufen und verirret hatte und nun die finstere Nacht ihr auf dem Hals lag. Wer war da trauriger als das Annelein? Da ward es daran erinnert, dass es solches wohl ihrer Schwester wegen verdient hatte, weinte kläglich, rief Gott um Gnade und Verzeihung an und betete. Doch war da nicht lang zu warten oder zu klagen, sondern sie stieg zunächst auf einen sehr hohen Baum, zu sehen, ob es nicht doch irgendein Haus erblickte, worin es über Nacht bleiben könnte, damit es nicht jämmerlich von den wilden Tieren zerrissen würde. Und in solchem Umschauen ersah es einen Rauch aus dem Häuslein gehen, darin seine Schwester war. Von Stund an nahete es dem Haus, nicht anders meinend, denn dass es eines Hirten oder Waldbruders Haus wäre.
    Und als es zu dem Haus kam, klopfte es an, und es dauerte nicht lang, da wurde es von seiner Schwester gefragt, wer denn da wäre. »Ei«, sprach das Annelein, »ich bin ein armes Maidlein und in dem Wald verirret und bitte, dass man mich durch Gottes Willen über Nacht behalte.« Das Gretlein sah durch ein Spältlein hinaus und erkannte, dass es seine untreue Schwester war, und sprach: »Wahrlich, liebs Maidlein, ich darf dich nicht hereinlassen, denn es ist mir verboten. Wenn sonst mein Herr käme und ich jemand Fremdes eingelassen hätte, so würde er mich schlagen. Drum zieh fort!« Das arme Maidlein wollte sich nicht abreden noch vertreiben lassen, sondern lag mit Bitten seinem unerkannten Schwesterlein so lange in den Ohren, bis es ihm die Tür aufgetan und es hereingelassen hatte.
    Und als es hineinkam, erkannte es seine Schwester, fing an, heiß zu weinen und Gott zu loben, dass sie es noch lebendig gefunden hatte, fiel nieder auf ihre Knie und bat, dass sie ihm verzeihen sollte alles das, so es wider sie getan. Danach bat sie freundlich, dass es ihr doch sagen sollte, wer bei ihr wäre, dass sie so schön und wohlgekleidet ginge. Das gute Gretlein, dem verboten war, zu sagen, bei wem es war, erfand mancherlei Ausrede und zog sie hervor: Einmal sagte sie, sie wäre bei einem Wolf, das andermal, sie wäre bei einem Bären. All dies wollte aber das Annelein nicht glauben und redete süß dem Gretlein, ihrem Schwesterlein zu, ihr doch die Wahrheit zu sagen. Und das Maidlein (wie denn aller Frauen Brauch und Gewohnheit ist, dass sie mehr schwätzen, als ihnen befohlen ist) sehr kläffig war und seinem Schwesterlein sagte: »Ich bin bei einem Erdkühlein. Aber Pass auf und verrat mich nicht!«
    Als solches das Annelein hörte, welches seiner Untreue an der Schwester noch kein Genügen getan hatte, sagte sie: »Wohlan, führ mich wieder auf den rechten Weg, damit ich heimkomme.« Das tat das Gretlein bald. Und da mein gutes Annelein heimkam, sagte es der Mutter, wie sie ihre Schwester bei einem Erdkühlein gefunden hätte und wie die so köstlich gekleidet gegangen wäre. »Wohlan«, sprach die Mutter, »so wollen wir nächste Woche hinausziehen und das

Weitere Kostenlose Bücher