Der große deutsche Märchenschatz
leiden mochte, und sind wild über mich, weil ich mein Geschlecht so verunehrte. Geh du wieder heim, leg dein graues Kittele an und schicke das gräfliche Gewand zurück.«
Griseldele erschrak über diesen Befehl, wurde aber nicht zornig, sondern nahm Abschied von ihrem Gemahl, als ob er ihr immer nur Gutes getan hätte. Schweigend verlieà sie das Schloss und machte sich auf den Weg, der Heimat zu. Da hatte sie allerlei schwere Gedanken und fürchtete sich, der Vater werde vielleicht lange schon tot sein. Und was werden erst meine Schwestern sagen, dachte sie, wenn ich erzähle, dass mich der Graf verjagt hat. Sie werden mich auslachen und mir mein Unglück gönnen, weil ich mich früher so hoch über sie erheben wollte.
Mit solchen Gedanken ging sie der Heimat zu und kam endlich in dem Bauernhäuslein an. Da hatte sie doch eine Freude, weil sie den Vater noch am Leben traf und ihm ihr tiefes Herzeleid klagen konnte. Sie bat ihn dann, er möge sie wieder bei sich behalten, sie wolle gern alle Arbeit tun und sich gar nicht anmerken lassen, dass sie einmal etwas anderes gewesen sei als das arme Griseldele. Der Vater erbarmte sich über sie, sprach ihr Trost zu, hieà sie bleiben und sagte:
»Leg nur an das graue Kittele,
Und iss mit mir ein Ãberschüttele * .«
Griseldele zog nun wieder ihr graues Kittele an und schickte die kostbaren seidenen Kleider dem Grafen ins Schloss zurück. Sie lebte wieder wie früher, bei bäurischer Arbeit und ländlicher Kost, und wenn sie auch mit Liebe und Sehnsucht an ihren Gemahl zurückdachte, so hoffte sie doch nicht, jemals wieder in das Grafenschloss zurückzukehren.
Da bekam sie einmal von ihrem Gemahl einen Brief, darin hieà es, sie solle sogleich in das Schloss kommen und alle Böden spülen, denn es müsse im Schloss alles gesäubert werden, weil er aufs Neue Hochzeit halten und sich mit einer Braut vermählen wolle, die so schön sei wie die Sonne. Griseldele besann sich keinen Augenblick, ging in das Schloss, rutschte dort im grauen Kittele auf allen Böden umher und spülte den ganzen Tag wie die gemeinste Bauernmagd.
Als sie alle Böden im ganzen Schloss gespült hatte, kam einmal der Graf zu ihr und sagte: »Ich will jetzt gehen, meine Braut zu holen, du kannst während der Hochzeit in der Küche abspülen oder sonst tun, was man dir anschafft.«
Griseldele sagte kein unwilliges Wort, wünschte ihm Glück zur Reise und blieb in dem Schloss. Daraufhin fuhr der Graf mit einer schönen Kutsche zu seinen Kindern und führte sie in das Schloss. Er verbot ihnen aber so lange, ihn Vater zu nennen, bis er wieder die Erlaubnis dazu geben würde. Auch gab er ihnen sonst Weisâ und Lehre, wie sie sich zuerst im Schloss zu benehmen hätten, und sagte besonders der Tochter, sie solle gerade so tun, als ob sie seine Braut wäre.
Sie kamen nun in das Schloss, und jedermann staunte über die Schönheit der neuen Braut. Der Graf hieà Griseldele kommen, stellte ihr die schöne Jungfrau vor und sagte: »Nicht wahr, diesmal habe ich eine schöne und vornehme Braut?«
Griseldele antwortete wenig und dachte bei sich: Schön und vornehm ist sie wohl, aber ich wünsche ihr Glück zu einer solchen Ehe.
Nun sollte vor allem der Handschlag gefeiert werden, und von nah und fern kamen die geladenen Gäste herbei. Während der Mahlzeit sagte der Graf auf einmal: »Sagt zum Griseldele, jetzt soll sie einmal auftragen, und zwar frisch vom Abspülen weg im schmutzigen Gewand und grauen Kittele.«
Die Bedienten gingen hinaus und sagten das dem Griseldele. Sie erschrak über diesen Befehl und lieà den Grafen bitten, er sollte ihr doch das nachsehen. Er aber schickte noch einmal hinaus und befahl ihr, sie solle nur sogleich mit der nächsten Speise hereinkommen. Da gehorchte sie ohne weitere Widerrede und trug in ihrem schmutzigen Gewand und grauen Kittele ein Gericht herbei. Da sah sie nun den Grafen neben der schönen Jungfrau sitzen, und auf seiner anderen Seite saà ein schöner Jüngling, den sie aber ebensowenig erkannte wie die vermeintliche Braut. Als sie wieder hinausgegangen war, sagte der Graf zu seinen Kindern: »Jetzt dürft ihr mich Vater heiÃen, und die eben aufgetragen hat, sollt ihr beim nächsten Eintreten als eure Mutter begrüÃen. Sie hat ihre Probe ausgehalten und lange Zeit gelitten; jetzt aber soll des Leidens
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