Der große deutsche Märchenschatz
dafür anziehen. Da ging das Griseldele in seine Kammer, und als es in den seidenen, goldgestickten Kleidern herauskam, da leuchtete seine Schönheit erst recht, und der Graf sah wohl ein, dass er nicht nur die bravste, sondern auch die schönste Braut gefunden hatte. Er gab nun ihrem Vater und den zwei Schwestern reiche Geschenke, damit sie doch zufrieden seien, weil er sie nicht zur Hochzeit laden wollte. Dann hieà er das Griseldele einsteigen, kehrte um und fuhr lustig in sein Schloss.
Als er in den Hof kam, lief alles an den Wagen, um die unbekannte Braut zu sehen. Jedermann wunderte sich über die Schönheit der Jungfrau, aber kein Mensch getraute sich, den Grafen zu fragen, wo er sie geholt habe. Das Griseldele wusste nicht, wie ihm war unter den vielen vornehmen Leuten, und wenn es nicht den Grafen sogleich liebgewonnen hätte, so hätte es sich über neunundneunzig Meilen hinweggewünscht.
Es wurde nun die Hochzeit mit aller erdenklichen Pracht gefeiert, und der Graf und das Griseldele lebten von nun an als Mann und Weib in Frieden und Liebe beisammen.
Es dauerte ein Jahr, da schickte ihnen der Herr ein Kindlein zu, und das war ein Mädchen. Kaum war es auf der Welt, ging der Graf zum Griseldele hin, bemühte sich, ein finsteres Gesicht zu machen, und sagte: »Jetzt gib mir nur sogleich das Kind, ich will es in den Abgrund werfen, damit die Leute nichts davon erfahren. Ich muss mich ja lange schon schämen, dass ich dich zur Frau genommen habe, wie müsste mir erst zumute sein, wenn ein Kind aus dieser Ehe mein Erbe werden sollte.«
Wie weh die Rede und das Verlangen des Grafen dem Griseldele taten, das kann man sich wohl denken. Sie sagte aber kein Wort, unterdrückte dem Gemahl zuliebe ihren Schmerz, bekreuzigte und küsste das Kind und gab es ihm. Er nahm es, setzte sich damit in eine Kutsche und fuhr weit fort zu braven Leuten. Diesen gab er das Kind und trug ihnen auf, es vor allem zu taufen und in der Taufe Maria zu nennen. Dann sollten sie es fleiÃig ernähren und erziehen, er werde schon alles gut bezahlen und von Zeit zu Zeit nachsehen kommen, wie es seinem Töchterlein ginge. Als er alles in Ordnung hatte, fuhr er wieder heim, ging zu seiner Gemahlin und sagte: »Jetzt wird wohl kein Mensch mehr etwas erfahren davon, weil ich es heimlich in den Abgrund hinabgeworfen habe.«
Dem Griseldele ging bei diesen Worten wieder ein tiefer Stich durch das Herz, und sie hätte bittere Tränen weinen mögen, unterdrückte aber ihren Schmerz gewaltsam und ertrug alles voll Demut und aus Liebe zu ihrem Herrn.
Nach einem Jahre bekam sie wieder ein Kind, und das war ein Knabe. Kaum war er auf der Welt, so kam der Graf zur Gräfin, machte ein finsteres Gesicht und sagte: »Jetzt gib mir sogleich den Buben, damit ich ihn in den Abgrund werfen kann. Ich bin so vor den Leuten nimmer sicher, weil ich dich geheiratet habe, was würden sie erst sagen, wenn ich ein Kind, das dir so gut angehört wie mir, als meinen Erben aufziehen wollte?«
Griseldele sagte wieder kein Wort, nahm das Knäblein, bekreuzigte und küsste es und reichte es ihm hin. Er ging damit fort, setzte sich in eine Kutsche und fuhr damit zu den nämlichen Leuten, zu denen er auch das Mädchen gebracht hatte. Diesen übergab er das Kind, trug ihnen auf, ihm in der Taufe den Namen Johann zu geben und es ordentlich zu erziehen. Dann fuhr er heim, ging zur Gräfin und sagte: »Ist gut, dass der Bub jetzt im Abgrund liegt, damit doch die Leute davon nichts erfahren.« Griseldele sagte wieder nichts, so tief ihr auch diese Rede in der Seele wehtat.
Der Graf fuhr öfter hin, zu sehen, wie es den Kindern ginge, sagte ihnen auch, als sie es verstehen konnten, dass er ihr Vater sei, und hatte eine groÃe Freude, als er sah, dass sie recht kräftig heranwuchsen und von den fremden Leuten so tugendhaft erzogen wurden, dass er wegen ihres Wohles nicht die geringste Sorge zu haben brauchte. Griseldele aber erfuhr nie etwas von ihren Kindern und dachte oft mit Schmerz daran, wie fein sie es jetzt hätte, wenn die zwei Kinder noch am Leben wären. Sie lieà aber nie ein Wort der Klage hören, sondern ergab sich geduldig und demütig in ihr Geschick.
Siebzehn Jahre nach der Geburt des ersten Kindes kam der Graf einmal zum Griseldele und sagte: »Jetzt hilft es nichts mehr, du musst aus dem Schloss. Die Leute wundern sich schon alle, dass ich dich so lange hier
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