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Der große deutsche Märchenschatz

Der große deutsche Märchenschatz

Titel: Der große deutsche Märchenschatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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und hatten Bäuche wie die Tonnen. Das Rütchen versagte diesmal nicht, und guten Mutes trieben die Kinder ein. Wie sie heimkamen und der Bauer das satte Vieh sah, war er ganz katzenfreundlich gegen sie; aber als er sie nun fragte, wo sie den frischen Weidenzweig herhätten, da ging die Not wieder bei ihnen an. Er ließ aber nicht eher nach, bis sie ihm alles haarklein erzählt hatten und bis sie ihm auch die Dukaten gegeben hatten. Und mit dem heutigen Reislein machte er’s gerade wieder so wie gestern, und am andern Morgen kriegten die Mädchen wieder Hiebe wie gestern, eher noch mehr als weniger. Und sie riefen die Liss’ wieder wie gestern, und die Liss’ kam wieder wie gestern, und es war halt alles grad so wie gestern. Zum Schluss kostete es auch wieder ein Fingerglied bei einer jeden, das zweite am kleinen Finger. Und sie nahmen wieder viele Dukaten dafür mit heim, die mussten sie dem Bauern wieder geben, und der tat sie zu den andern und verschloss sie wieder ins Beikästchen in der Lade, wie gestern. Und dass wir’s nur kurz machen, das ging nun jeden Tag so fort, einen Tag und alle Tage, bis die Kinderchen nur noch an jeder Hand einen Daumen und einen Zeigefinger hatten, dass sie grade noch einen Löffel zum Suppen und Essen und die Peitsche beim Hüten halten und sich selber anziehen konnten, und bis sie an den Füßen nur noch die große und die zweite Zehe behalten hatten, dass sie noch so eben forthumpeln konnten. Der Wirt hatte aber das ganze Beikästchen voll Dukaten, einen immer schöner als den andern. Doch er wurde nur immer geiziger, und denkt nur, er prügelte die armen Würmchen, dass sie sich auch die Ohren stückweis von der Liss abschneiden lassen sollten, damit sie ihm ja nur immer mehr Dukaten hereinbrächten; und trieb sie mit Prügeln zum Hause hinaus bis zum Lissteich hin und wartete dort, bis sie der Liss’ gerufen haben würden.
    Da gab’s den guten Mädchen ein Engel ein, dass sie diesmal riefen: »Wasserlisse, zieh uns rein! Wasserlisse, zieh uns rein!« Sie sagten’s wirklich in ihrer Unschuld. Wie jetzt der Bauer zurückwollte, da konnte er nicht mehr von der Stelle; denn er war durch das Wörtchen »uns« schon festgebannt von der Liss’.
    Die Liss’ sang und kam und sah den Bauern; der wollte mit aller Gewalt fort, aber es war nicht möglich, der Bann war ihm zu stark; erst wie die Liss’ wieder auf den Teich zuging, konnte er die Beine wieder heben und laufen, aber nicht etwa heimwärts ging’s, nein, mit hin auf das Wasser zu. Da er nun sah, es war einmal nicht anders, da dachte er: »I nu, auf ein Fingerglied soll mir’s nicht ankommen; ich gehe aber ein andermal nicht wieder mit bis hierher.« Es kam aber gar anders.
    Â»Du geiziger Teufel«, sagte die Lisse zu ihm, als er auf dem Viehweg war, »dir sollte das Genick gebrochen werden und solltest zuvor mit glühenden Zangen gezwickt werden; aber die Lissen sind nicht so unbarmherzig. Deine Finger aber und deine Zehen musst du verlieren, dass die Mädchen ihre wiederkriegen, denn davon machen wir sie denen nun.« Da sank dem Bauern der Mut, und er verlor alle Kraft; er war angezaubert an dem Fleck, wo er stand und konnte kein Glied mehr nach seinem Willen rühren. Die Lissjungfern schnitten ihm nun mit der Schere drei Finger von jeder Hand ab und drei Zehen von jedem Fuß, und obwohl viel Blut herumtröpfelte, wurden keine Dukaten daraus, sondern bloß Rechenpfennige, die musste er sich auflesen, so böse wie’s auch ging, denn ihm schmerzten die Stümpfe doch ein wenig.
    Aus jedem Finger des Bauern aber machen die Jungfern den Kindern immer zwei Finger, und aus jeder Zehe zwei Zehen. Sie schnitten sie nur entzwei, hämmerten ein klein bisschen mit einem hölzernen Hammer darauf herum, und da waren sie fertig; dann heilten sie die neu gemachten Finger geschwind an, und sie waren so gut wie die gliederweis abgeschnittenen. Und nun sagte die Liss’ zum Bauern: »Du Menschenschinder kannst dich nun fortpacken; unterwegs wirst du deinen Zahlaus kriegen. Und wenn du deine Gliedmaßen wiederhaben willst, du weißt ja, was du mit den Dukaten machen musst; die lass dich nicht etwa reuen, sonst bist du verloren; und weißt du was nicht mehr recht, dann frag erst hier bei mir, wenn’s dich auch deine paar Finger vollends kostet. – Ihr Kinder aber«, sagte sie, »ihr

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