Der große deutsche Märchenschatz
sie kam, zeigte er ihr den Säbel mit den goldenen Buchstaben und den goldenen Ring. Der andere Bräutigam musste darauf fort und der Soldat bekam die Königstochter zur Frau.
Die Wasserlisse
Es starb einmal ein armer Mann, der hinterlieà eine Witwe mit zwei kleinen Mädchen, die mussten sich nun den Sommer über zu einem Bauern als Kuhmädchen vermieten; die Mutter aber verdingte sich als Magd ein paar Meilen davon weg, sodass sie den ganzen Sommer lang nicht nach ihnen sehen konnte. Nun war gerade ein sehr trockenes Jahr. Die liebe Sonne schien ohne Unterlass, sodass alles Laub und der ganze Rasen bis auf die Sohle verbrannte und ausdorrte. Da konnte nun auch das Vieh nicht gut aussehen; es fand ja nichts zu fressen auf der Weide. Aber den Mädchen ihr Bauer fragte danach nicht; er prügelte sie alle Tage, wenn ihm das Vieh nicht satt genug heimkam, denn bei dem konnte man freilich immer alle Rippen zählen. Er befahl ihnen, ans Wasser zu treiben, nach dem Lissenteich (Nixenteich); da wär noch viel Grünes, meinte er; die Lisse würde sie schon nicht hineinziehen. Aber die Mädchen wussten schon, dass keine Seele dort hüten mochte wegen der Wasserlisse, und fürchteten sich deshalb auch. Wie aber das Prügeln gar nicht bei ihnen aufhörte und sie sich eines Tages schon wieder zu Tode fürchteten vor dem Eintreiben, weil sie heute auch wieder so viel Hiebe kriegen würden, da sagten sie zueinander: »Ach, wenn uns nur lieber die Wasserlissâ hineinzög, da wären wir die Plage los!« Und in ihrer Einfalt riefen sie: »Wasserlisse, zieh mich rein! Wasserlisse, zieh mich rein!«, wie sie beim Wasserlissâ-Spielen oft gesprochen hatten, wennâs auch nicht wirklich ihr Ernst damit war. Aber das Wort war einmal heraus auf der Lissâ ihrem Gebiet. Und gleich darauf hörten sie schön singen vom Wasser her, und dann sahen sie eine schöne, vornehme Frau, die hatte ein Weidenzweiglein in der Hand und kam auf sie zu. Die Kinder wollten davonspringen, sie konnten aber nicht von der Stelle. Die Frau war aber gar freundlich und fragte sie, was ihnen denn fehlte, denn die Augen waren ihnen noch nass, so hatten sie geweint. Die Mädchen erzählten ihr nun alles. Da sagte sie zu ihnen: »Kommt mit mir, ich will euch eine Weide zeigen, wie in ganz Schlesien keine zweite zu finden ist.«
Den Mädchen warâs, als zög sie wer; sie mussten mit ihr fort, sie wussten selber nicht wie; und das Vieh lief auch von selbst mit. Wie sie am Wasser waren, schlug die Frau mit der Weidenrute hinein; da ging das Wasser auseinander, und es war auf einmal ein schöner grüner Viehweg da und schöne grüne Wiesen mit Gras, das den Kühen bis an den Bauch ging. Darauf durfte das Vieh gehen und fressen, wo es wollte, die Mädchen brauchten es nicht zu hüten, die gingen mit der Lissâ in ein schmuckes Häuschen hinein; darin warâs ganz wunderschön; auch gabâs gut Essen und Trinken da und schöne Musik. Und es waren auch noch viele solche vornehme Frauen da, die zogen den beiden Mädchen neue Kleider an â die alten Lumpen legten sie derweil beiseite â und bedienten sie hinten und vorn und waren um sie herum wie die Ohrwürmer. Das gefiel den beiden gar über die MaÃen gut, und sie aÃen und tranken wie auf der Kindtaufe und wünschten sich nicht mehr heim.
Wie es aber Zeit zum Eintreiben war, da lieÃen es die Wasserfrauen nicht mehr zu, dass sie noch verweilten; sie zogen ihnen die neuen Röckchen und Häubchen, Schürzen und Tüchlein, Schuhchen, Strümpfchen und alles aus und die alten Klunkern wieder an, gaben ihnen eine Weidenrute in die Hand, und die Wasserlisse sagte zu ihnen: »Wenn ihr mit der Rute hinterm Viehweg auf die Erde schlagt, dann seid ihr wieder da, wo ihr wart, wie ich ins Wasser schlug, als ich zuerst zu euch kam. Dann treibt ein; verwahrt euch aber das Zweiglein gut, dass es nicht vertrocknet; denn sowie das verdorrt, so verdorren auch die Kühe wieder, ob sie jetzt gleich noch so gut aussehen. Wollt ihr wieder einmal zu mir, dann braucht ihr nur mit der Rute ins Wasser zu schlagen, dort, wo ich hineinschlug, da seid ihr gleich bei mir. Aber grün muss das Reislein sein, sonst istâs nichts mehr nütze und hilft gar nichts, wenn ihr auch damit hineinschlagt. Stelltâs nur ja ins frische Wasser; denn wenn ihr zu mir wollt und müsst mich rufen, weil
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