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Der große deutsche Märchenschatz

Der große deutsche Märchenschatz

Titel: Der große deutsche Märchenschatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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die Rute verwelkt ist, dann kommt ihr nicht so leicht fort wie heute, da kostet’s etwas von eurem Leibe; viel wohl nicht, es schmerzt auch nicht und obendrein kriegt ihr noch viele Dukaten dafür. Aber ich rat euch, ihr Kinder, seht euch vor! Euer Bauer ist ein alter Schalk. Nun geht in Gottes Namen!« Die Mädchen schlugen mit der Gerte auf die Erde, als sie auf dem Viehweg waren, und es geschah alles so, wie es die Lisse gesagt hatte.
    Als sie nun in den Hof eintrieben, da wunderten sich die Wirtsleute nicht wenig, dass das Vieh so satt gehütet war. Und erst beim Melken, da rissen sie noch viel mehr die Augen auf, als die Kühe so sehr viel Milch gaben, und lobten die Mädchen gar sehr; und die sagten auch, dass sie beim Lissteich gehütet hätten. Wie sie aber zu Tisch kamen und nur wenig essen konnten, weil sie noch satt waren von der guten Mahlzeit bei der Liss’, und wie sie die Weidengerte so fleißig in ein Näpfchen mit Wasser setzten, da trieb sie der Bauer so lange aufs Gewissen, bis sie ihm alles haarklein erzählten vom Anfang bis zu Ende. Das Ding war gut. Die Mädchen legten sich schlafen; der Bauer aber nahm den Zweig aus dem Wasser im Napf heraus und legte ihn auf den Ofen, und des Morgens, ehe die Mädchen aufstanden, tat er ihn wohl wieder in das Näpfchen, er war aber schon ganz verdorrt; und dazu goss er das Wasser auch noch aus, dass sich der Zweig nicht mehr erholen konnte. Die Dukaten stachen ihn halt gar zu sehr, von denen die Mädchen erzählt hatten.
    Als die Kinder in der Frühe den verwelkten Zweig sahen, weinten sie so bitterlich, dass sie nur immer so einmal übers andere das Böcklein stieß, und sie wollten die Liss’ nicht mehr rufen, denn es war ihnen doch ein bisschen unheimlich dabei, wenn es ihnen auch gestern gefallen hatte. Der Bauer prügelte sie aber so lange, bis sie sagten, sie wollten die Liss’ wieder rufen. Die Kühe sahen wieder aus wie die Gerippe, und der Bauer drohte ihnen noch einmal: »Ihr Plauzen ihr! Ich schlage euch halb tot, wenn die Kühe nicht wieder so dick und satt hereinkommen wie gestern.« Die Kinder greinten den ganzen Weg und auch noch draußen auf der Hutung. Zuletzt sagten sie zueinander: »Ach, rufen wir nur wieder die Liss’, es hilft ja doch nichts! So ein Leben hab ich satt!« Und sie riefen halt wieder alle beide: »Wasserlisse, zieh mich rein! Wasserlisse, zieh mich rein!« – Die Liss’ kam auch gleich, und es war alles wieder wie gestern. Aber als sie wieder fort wollten und mit dem eben erst abgebrochenen Weidenreis auf dem Viehweg auf die Erde schlugen, da half’s diesmal nicht. Da fürchteten sie sich sehr, weil es nun was von ihrem Leibe kostete. Sie baten aber die Liss’ zuvor noch einmal: »Wasserlisse, lass uns fort! Wasserlisse, lass uns fort!« – »Nein«, sagte die, »so gleich geht’s nicht, ihr müsst erst was von eurem Leibe hier lassen. Eine jede muss ein Glied vom kleinen Finger geben, oder ihr müsst Lissjungfern werden, wie die hier, die euch bedient haben, das sind alles solche Hütemädchen gewesen wie ihr.« – »Nein, nein«, gaben sie zur Antwort, »lieber ein Fingerglied weniger!« Da kam eine Lissjungfer mit der Schere und schnitt das Glied nur so Gott vergeb’s ab. »Das tut ja nicht weher, als wenn mir ein Sperling drauf pickt«, sagten die Mädchen und lachten; und es war auch gleich geheilt und der Fingernagel drauf, der Finger war halt nur ein bisschen kürzer; es blutete gleichwohl ein wenig, doch aus einem jeden Tropfen Bluts wurde ein schöner blanker, funkelnagelneuer Dukaten. »Lest sie euch auf und nehmt sie euch mit«, sagte die Liss’, »und wickelt sie euch zusammen in ein Läpplein; solange sie alle hübsch zusammenbleiben, könnt ihr das Fingerglied wiederkriegen, wenn ihr sie auf einmal ins Fließwasser werft. Aber dass ja keiner fehlt, und gerade dieselben müssen’s sein, die ihr für das Glied gekriegt habt. Fehlt nur ein allereinzigster oder ist auch nur einer ein andrer, dann fängt der Finger an zu bluten und blutet und blutet immerfort und hört nicht mehr auf, und aus jedem Tröpflein Blut wird ein ganzer Zuber voll Wasser, der immer im Wirbel herumgeht und alles mit sich zieht und verschlingt. Vergesst’s nicht und geht nun in Gottes Namen.«
    Das Ding war gut. Die Kinder gingen, die Kühe waren satt

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