Der große deutsche Märchenschatz
Männchen fort.
Friedrich trat nun seinen Dienst an, fütterte zur rechten Zeit den Schimmel mit Aas und den Esel mit Heu und tränkte sie aus dem offenen Brunnen, wie das Männlein ihm geboten hatte. Mithilfe seines Stöckleins wünschte er sich Essen herbei, so viel er mochte; hütete sich auch wohl, in den verdeckten Brunnen zu sehen oder das verbotene Zimmer aufzumachen. So vergingen drei Jahre. Nun hatte er aber, da er so plötzlich von Haus fortgekommen war, nicht daran gedacht, Kamm und Schere mitzunehmen, darum wuchs ihm sein Haar zuletzt so lang, dass es in verwilderten Locken tief über seinen Nacken hinabwallte.
Drei Jahre lang hatte er pünktlich getan, was ihm befohlen war, da fasste ihn ein heftiges Verlangen, einmal zuzusehen, was wohl in dem verbotenen Zimmer sein möchte. Kaum aber hatte er die Türe aufgemacht, so schlug ihm daraus mit Qualm und Dampf die heiÃe, lichte Lohe entgegen, und in demselben Augenblicke erschien auch das graue Männchen, das sich sonst in den drei Jahren gar nicht wieder hatte sehen lassen. »Friedrich, du hast geguckt!«, sprach es drohend; »diesmal soll es noch so hingehen; tust du es aber noch ein einziges Mal wieder, so musst du ohne Gnade sterben!« Damit verschwand es. »Ich werde mich wohl hüten«, dachte Friedrich; »in einem Zimmer voll Feuer und Flammen habe ich nichts zu suchen.«
So ging wieder ein Jahr dahin; er tat pünktlich, was ihm befohlen war, fütterte den Schimmel mit Aas und den Esel mit Heu und tränkte sie aus dem offenen Brunnen. Aber einstmals, da er wieder Wasser schöpfte, trieb ihn doch die Neugierde so sehr, dass er hinging und den verdeckten Brunnen aufmachte und sich hinüberbeugte, zu schauen, was wohl darinnen wäre. Mit dem so fielen seine langen Locken in das Wasser hinab, und als er sie zurückzog, waren sie, so weit das Wasser gereicht, ganz golden geworden. Da schöpfte er mit den Händen noch mehr von dem Wasser und wusch sein ganzes Haar damit, das glänzte nun mitsamt den Händen wie eitel Gold. In dem nämlichen Augenblicke erschien aber auch schon das graue Männchen wieder. »Friedrich!«, sprach es drohend; »du hast geguckt! Tust du das noch ein einziges Mal, so musst du sterben ohne Gnade und Barmherzigkeit.« Damit verschwand es.
Friedrich aber, dem die Sache noch jedes Mal so glücklich abgelaufen war, nahm sich vor, nun auch dem Schimmel nicht mehr Aas, sondern Heu und dem Esel nicht mehr Heu, sondern Aas zu geben. Gedacht getan. Sobald aber der Schimmel das Heu zu fressen kriegte, fing er mit einem Male zu sprechen an. »Friedrich«, sprach der Schimmel, »es wird uns beiden schlimm ergehen, wenn wir nicht versuchen, zeitig von hier wegzukommen; heut Mittag um zwölf halte dich zur Flucht bereit, aber vergiss nicht, meinen Kamm, meine Bürste und meinen Staublappen mitzunehmen, sie können uns vielleicht von gröÃtem Nutzen sein.« Friedrich, dem es auf dem alten einsamen Schlosse auch gar nicht mehr recht gefallen wollte, tat, wie der Schimmel ihm geheiÃen hatte; er umwickelte sich aber Kopf und Hände mit Tüchern, dass von dem Golde nichts mehr zu sehen war, dann sattelte er den Schimmel und Punkt zwölf Uhr schwang er sich auf und jagte ins Weite, so schnell der Schimmel nur laufen konnte.
Nicht lange waren sie geritten, da rief der Schimmel: »Friedrich, sieh dich mal um, ob auch wer kommt!« â »O weh!«, sprach Friedrich, »ich sehe das graue Männchen, das ist schon ganz dicht hinter uns!« â »So wirf schnell den Kamm zurück!« Friedrich tat es, und alsbald wurde daraus ein langer tiefer Graben, den musste das Männchen erst umgehen, eh es weiter konnte. Aber es dauerte nicht lange, da rief der Schimmel wieder: »Friedrich, sieh dich mal um, ob auch wer kommt!« â »O weh«, sprach Friedrich, »ich sehe das graue Männchen, das ist schon wieder ganz nahe hinter uns.« â »So wirf schnell die Bürste zurück!« Friedrich tat es; und sogleich entstand daraus ein dichter, ganz mit Dorngebüsch durchwachsener Wald, da musste das Männchen erst mit Mühe hindurch, ehe es weiter konnte. Aber es dauerte nicht lange, als der Schimmel zum dritten Male rief: »Friedrich, sieh dich mal um, ob auch wer kommt!« â »O weh«, sprach Friedrich, »ich sehe das graue Männchen, das ist schon wieder ganz nahe hinter uns.«
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