Der Große Fall (German Edition)
selber.
Während der Feier setzte sich der eintönige Gong- oder Glockenschlag fort, jetzt freilich, bei unveränderter Tonlage, ohne den Beiklang der Trauer. Es war nach dem Evangelium, daß der Priester, indem er sich wieder einmal umdrehte, statt gleichwem den Segen auszuteilen, sich hoch aufrichtete, wobei er samt seinem goldbestickten Gewand zum Riesen aufwuchs, und laut wurde, im Ton einer Predigt, einer dringlichen, welche er, wäre niemand sonst dagewesen, an den Staub im Sonnenkegel, an die Holzwürmer in den Bänken, an sich selber gerichtet hätte. Und doch war, was er so sagte, dem andern im Raum, obwohl der Priester beim Reden an ihm vorbeischaute, bestimmt, gerade ihm, als habe er mit der Messe auch seine Gedanken gelesen: »Ja, die Ohnmacht Gottes! Aber seine Allgegenwart ist seine Macht, seine einzige. Das heißt, sie wäre es, wenn. Sie wäre eine Macht, und was für eine, würdeich, wenn ich sie bräuchte, mich ihrer bewußt machen und mich an sie wenden. Und ich brauche sie. Aber: Wohin mich wenden? Und wie? Und, ja!: Der Leib der Frau ist die Herabkunft der Allgegenwart des Geistes in der Nacht. Mit der Frau zusammen setzt die andere Sprache ein, hebt das Anderslauten an. Und daß dieses fortdauere, weiter und weiter! Die Körper hochleben lassen. Die Frau, der andere Buchstabe. Nicht ich komme über die Frau, die Frau, sie kommt über mich, und mein Fleisch wird Geist. Ich Mann der Hungernde, sie Frau die Dürstende – der Mann der Hunger, die Frau der Durst! Begehren des Begehrens des anderen! Nichts geht über das Begehren, über unser beider Hunger und Durst. Hoch unsre beiden Herzen. Amen. So ist es. So sei es.«
Bei der Verwandlung des Brots in den Leib und des Weins in das Blut hätte es sich gehört, daß der einzige Teilnehmer der Eucharistiefeier auf die Knie fiele. Das hatte der Schauspieler bisher nicht einmal in den Filmen über sich gebracht, und auch jetzt knickte er die Knie in seiner Kirchenbank nur, wie seit der Kindheit, in dem Kalkül, der Priester werde darin ein Hinknien sehen. Im selben Moment aber spürte er ein Bedürfnis, eine Sehnsucht – oder war das Teil seines Hungers? –, nicht allein auf die Kniezu fallen, sondern der Länge nach hinzustürzen und mit dem Gesicht nach unten liegenzubleiben, und zugleich war es eine Erleichterung, daß solch ein Hinstürzen, zwischen den Bänken da, nicht möglich war. Die Kommunion ließ er aus; der Priester vorn am Altar blieb allein mit dem Verzehren der Hostie, die zweite, die er aus dem Kelch nahm und wie zur Einladung emporhielt, legte er in den Kelch zurück. Den Schlußsegen des »Gehet hin in Frieden« sprach der Priester in der Einzahl, ausdrücklich an den einzelnen anderen gewendet: »Geh hin in Frieden!«
Danach wurde der Schauspieler zu einem Schmaus in die Sakristei geladen. Der Priester legte sein Meßgewand ab, und darunter kam eine blaue Arbeitskleidung zum Vorschein, die seinen Gast vertraut anmutete. Die Heiterkeit, welche von der Eucharistiefeier ausgegangen war und anhielt – alles davon verwandelt in das, was es war, ein Tisch, die Spinnweben –, wurde verstärkt von der Nahrung, auch der Flasche Wein, beides vom Priester aus einem SupermarktPlastiksack geholt, samt einem Paar Pappbechern. Der Tisch, eben noch die Ablage für den vergoldeten Ornat, wurde zum Eßtisch. Seltsam, wie Essen nachdenklich machen konnte, oder wie umgekehrt eine bestimmte Nachdenklichkeit selbst einem Dutzendgericht Geschmack zuführte, und wie man sichzeit solchen Essens beschützt fühlte, und nicht damit aufhören wollte.
Ausruf des Priesters, an niemanden im Einzelnen gerichtet: »Wie man mit dem Alleinessen doch den Geschmacksinn verliert. Die besten Speisen verlieren ihren Geschmack. Solch ein Speisen jetzt aber, gleich was: Wie es doch mundet.« Und er kam danach ins Erzählen. Er war ein Spätberufener und hatte vorher als Automechaniker gelebt; und nach dem Essen jetzt wollte er im Garten hinter der Kirche die ersten Äpfel, Frühäpfel!, brocken; die Gegend hier, bevor sie Stadtgebiet wurde, war ein ausgedehntes Obstland gewesen, ein königliches, mit ganz besonderen, eben königlichen Sorten.
Die Heiterkeit, von ihnen beiden geteilt, setzte sich fort, als sie nach dem Essen und Trinken gemeinsam die Sakristei aufräumten und dies und das reparierten, und würde so bald auch nicht vergehen. Es war wie selbstverständlich, daß der Ortsfremde kleine Werkzeuge, einen Schraubenzieher, Schmirgelpapier, eine Schere, mit
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