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Der Große Fall (German Edition)

Der Große Fall (German Edition)

Titel: Der Große Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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Vorstellung, das Bewußtsein, die Empfindung der, des andern. Zu meiner Freude, an deren Außengrenze, trat das Bedürfnis zu helfen, und indem es keine Hilfe gab, brach die Freude ab. Meine Freude durfte nicht mehr sein. Und zuletzt stellte sie sich auch nicht mehr ein. Und doch gab es sie, mußte es sie geben, denn ich hatte sie erlebt. Nur wußte ich nicht mehr, was sie war.«
    Die Freude, jetzt an dem Tag des Großen Falls, blieb unbehelligt vom Unglück der anderen. Oder nein: das Unglück wurde darin allgegenwärtig, aber es erschien als Teil dieser Freude, und es durchwirkte sie, statt sie zu durchkreuzen. Es war eine Freude durchwirkt von Schmerz, in welcher er dahinpilgerte, und er spürte in ihr, mit ihr und durch sie keinerlei Unrechtsbewußtsein und schlechtes Gewissen: nicht seine persönliche Freude war es, die ihn trug, nichts hatte sie zu schaffen mit ihm allein, sie überstieg ihn. Diese schmerzhafte Freude war eine einhellige. Er teilte sie, auch wenn er gerade völlig allein ging, teilte sie mit wem? Mit niemand und nichts Bestimmtem,mit der Sommerluft, den Horizonten, dem Hundekot im Rinnstein, mit einem weggeworfenen Parkschein und Apothekenzettel. Und sie hätte sich nicht eingestellt bei einem einsamen Stehen in der leeren Kirche, oder bei sonst einem Alleinsein. Sie kam aus einer Reinigung, durch eine Zeremonie, eine gemeinsame – mochten sie auch bloß zwei gewesen sein –, und die Reinigung wäre vielleicht genauso durch eine andere Zeremonie erfolgt als durch die Messe? Vielleicht, vielleicht nicht. Jene gemeinsame Freude jetzt war kein Zufall. Wie schön weh sie tat. Wie segelgleich die Hosenbeine knatterten im Gehen. Wieviel Energie so erzeugt wurde. Etwas zu tun? Etwas zu lassen. Ja, der Schauspieler würde, das war nun beschlossen, die Feier zu seinen Ehren, am Abend dort unten, dort in der Hauptstadt, sein lassen. Und den Film am folgenden Morgen?
    Ebenso zögerte er dann, als er kurz vor der Stadtautobahn auf eine Straße stieß, die, wie sie geradewegs ins wellige Weite und fast Unbebaute verlief, mit Schottersteppen zu beiden Seiten, etwas von einer Landstraße hatte, und zu der er unwillkürlich: »Salve, Carretera, Magistrala, Highway Sixty-six!« sagte. Darauf zurückwandern, stadtaus?
    Das war vergessen, sowie ihm aus der Stadt ein Bus entgegenkam, ein sehr hoher, stahlblauer, funkelnagelneuer, vollbesetzt mit Soldaten unterwegs zur Garnison, am Steuer aber, abgehoben von den andern, jemand so in Zivil, wie man nur zivil sein konnte: Eine junge Frau mit offenen blonden Haaren, von einer in die Augen springenden, geradezu erschreckenden Schönheit, und diese Schönheit winkte ihm am Rande der Carretera zu, mit großen Augen, ohne ein Lächeln, ganz ernst. Oder hatte sie jemand andern gemeint, in einem Auto hinter ihm? Kein Auto war dem Bus begegnet, und kein Fußgänger war sonst unterwegs.

7
    In die Stadt, wohin sonst. Er ging so, wie in einem Film von John Ford ein Indianer, in dessen eigener Sprache, auf Navajo, eine Gangart bezeichnete, und er hatte sich diese Bezeichnung gemerkt und sich in gewissen Situationen immer wieder vorgesprochen: »Haske yichi nixwod«, was übersetzt etwa hieß: »Der mit Bestimmtheit geht«.
    In einem der sich verdichtenden Häuser nah der Straße, die bald kein »Highway« mehr war, saß eine sehr alte Frau, das schlohweiße, wie bei der Busfahrerin offene Haar, auf einem Balkon, und warf ihm, als er hinaufgrüßte, mit dem gleichen Ernst wie die Busfahrerin eine Kußhand zu. Und an der Böschung vor der Autobahn, wo die Straße abbrach, stand eine noch ältere Frau im Wind, die einen Drachen steigen ließ, und die, als der dann auf den Asphalt krachte, dem Mann bei seinem Näherkommen ein Grinsen wie aus anderen Zeiten schenkte. Vorher war er an der Straße endlich auf einen Laden getroffen, der etwas von einem Handelsposten, ebenfalls aus anderen Zeiten, hatte, und war dort selbstverständlich zum Käufer, dieser und jener Kleinigkeit, geworden.Auch das, Geld und Ware, Nachfrage und Angebot, Kaufen und Verkaufen, war noch eingestimmt in die unpersönliche Heiterkeit. Die Zeitungen in dem Laden hatten bis zur Stunde keinen einzigen Abnehmer gefunden. Es waren auch gestern keine verkauft worden, und, so der Inhaber, vorgestern »gerade eine«. Und die Nachbarnkriege hatten die Magistrale verschont, oder hatte er sie bloß übersehen und überhört? – Auf dem Schild des Ladens außen, übrigens in stark verblaßter Schrift, nichts als

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