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Der Große Fall (German Edition)

Der Große Fall (German Edition)

Titel: Der Große Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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ULTRAMARINOS , Überseewaren, und drinnen, auf einer Etagere, gar einzeln, eine Papaya, eine Ananas, eine schwärzliche Banane und eine (1) tiefschwarze Affenbrotschote, die er dazugekauft hatte und sie im Weitergehen verzehrte, wie einst in der Kindheit, und sie schmeckte auch so, und zugleich grundanders.
    Die Böschung, an welcher die äußeren Bezirke endeten, war ein Erdwall, hinter dem in einer Senke die Rundautobahn vorbeiführte. Auch die hörte sich an wie ein Läuten, ein stetiges, ununterbrochenes, wie unterirdisches. Der Schauspieler hätte einen der Geh- und Radwege entlang dem Wall nehmen können, irgendwo mußte eine Überführung oder ein Tunnel zur anderen Seite sein. Statt dessen kletterte er die Böschung hinauf, und zwar rückwärts, so wie er die Wälder rückwärts verlassen hatte. Rückwärtsklettern, war das denn möglich? Und mit Bestimmtheit rückwärts gehen? Ah, das so besondere Geräusch der Schritte rückwärts, Geräusch wie nur je aus einem Diesseits, einem frischen, einem neuen! Geräusch eines Pochens, eines Pochens an des Diesseits Tor. Und er stellte sich dazu einen Film vor, mit dem Titel »Das neue Diesseits«.
    Oben auf dem Saum drehte er sich um in die Gehrichtung und zwängte sich durch die dichtverzahnten, hartdornigen Büsche. In dem Gesträuch hockte eine ganze Hasenfamilie, die bei seinem Durchschlupfen ein Hoppeln nur andeutete, vielleicht weil er sie grüßte mit leicht erhobenem Handteller. Einzelne Hasen, ein jeder vor seinem Behausungsloch, auch auf der Rückseite der Böschung, die begrast war und steil und tief abfiel zur Autobahn, und neben den Hasen Raben, als gehörten sie in den Sommer, und ein einzelner Fuchs ruhig vor seinem Bau, und ebenso ein paar wilde Hunde, die, so schien es, nur halb so wild waren. Der Verkehr in der Tiefe stob hier heran als ein einziges Tosen und Gellen, keinen Moment sich abschwächendes oder gar abbrechendes. Den Steilhang hinunter, langsam, Schritt für Schritt, von den wilden Hunden umwedelt und, wenn angebellt, so seltsam tonlos, wozu jetzt gehört, daß der Schauspieler im Film nie dieStimme erhob, und wenn man einen Schrei erwartete, eher noch leiser wurde – wieder keine Technik, er war schlicht unfähig, zu schreien. In dem Gellen und Tosen zwischendurch einmal Bruchstücke eines Lieds aus einem geöffneten Autofenster: »… a wonderful night for a moondance!« Und dann eine lange lange Episode mit Hochzeiterhupen. Ja, gibt’s denn sowas? Ja, gab es das denn noch?
    Er würde zu Fuß die Autobahn überqueren, und das war jetzt keine Wette mehr. Unnötig, zu erzählen, daß die Überquerung gelang, in einem bestimmten Augenblick, den er lange abgewartet hatte und von dem er sicher war, er würde kommen, und ebenso dann die zweite, nach womöglich noch längerem Abwarten auf dem Zwischenstreifen. Fragt mich nicht, wie er die Gegenböschung drüben erreicht hat. Er lief, und schon als er loslief, wußte er wieder: es würde ihm nichts passieren, und auch den Autos nicht, von denen zwar das erwartete Hupen kam, ohne daß sie aber bremsen mußten. Am anderen Ufer hielt er nicht inne, sondern stieg gleich weiter, nur kein Blick zurück, den Hang hinauf, wo wieder andere Hasen, Raben und Hunde Spalier standen.
    Oben erwarteten ihn immer noch nicht die inneren Bezirke. Neuerlich durch Dorngestrüpp mehrgekrochen als gerobbt, auf allen vieren und nicht bäuchlings, sondern auf dem Rücken, und die Füße voraus, mit welchen es das bessere Wegbahnen war. Und endlich da durch, im Freien, hatte er, indem er sich aufrichtete, nichts als ein Gleisfeld vor sich, ein allerdings horizontweites, am Horizont gegenüber noch so eine Buschbarriere, nein, etwas Höheres, das vielleicht ein kleiner Wald war – von weiter oben nicht zu sehen gewesen –, und in die Horizonte zur Rechten und Linken führten die Schienen augenscheinlich ins Leere, von den Türmen der Megapole nichts mehr zu erblicken. Auch das Gleisfeld selber war, bis auf die wohl Hunderte von durchweg verrosteten Schienen und die ebensolchen wie verrenkt davon aufragenden Weichen, vollkommen leer, hohes Gras und Disteln wuchsen zwischen den noch übrigen Schwellen und hatten den Schotter, bis auf ein paar helle Reste, verschwinden lassen. Er stand da vor einer Schneise von Niemandsland, einer so ausgedehnten wie nur in den Weltstädten, den größten, und dort oft nah an den Zentren, die von dem Land aus unsichtbar und erstaunlicherweise fast unhörbar blieben, und dabei gar

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