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Der Große Fall (German Edition)

Der Große Fall (German Edition)

Titel: Der Große Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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nichts so sehr Besonderes.
    Er bewegte sich durch das Niemandsland in langgezogenen Schleifen. »Noch« hatte er ja Zeit, noch.Obwohl es da kaum was zu sehen gab, war es, als könnte man sich daran nicht satt sehen. Keine Schiene durfte man unbeachtet lassen, jeden der verschiedenen Abstände zwischen den Schwellen mußte man mit einmal weiten, einmal kürzeren Schritten abmessen, das Nichts-und-wieder-Nichts, wo einmal etwas gewesen war und eines Tages von neuem etwas sein würde, wollte gewürdigt werden, mitsamt dem großen Himmel, welcher sich darüber so wölbte, wie er das sonstwo kaum mehr tat.
    Mitten in seinem Niemandsland kam vom anderen Ende, von der Wald- oder Stadtseite, ein Pfiff, und es war gleich klar, der galt ihm, dem Streuner auf dem Gleisfeld. Er wurde angepfiffen, nicht mit einer Trillerpfeife – mit zwei Fingern, aber wie. Drüben war ein Auto angefahren gekommen, und zwei Männer waren herausgesprungen. Jetzt standen sie breitbeinig, wie man breitbeiniger kaum stehen konnte, und der eine winkte ihn zu sich, während der andere ihn anpfiff, wozu wieder paßt, daß der Schauspieler in seinen Filmen nie pfiff, oder zumindest nicht so, höchstens zwischen den Zähnen, und wenn, den Takt einer Melodie. Das jetzt hatte keine Melodie, wie auch das Winken, mit dem einen Zeigefinger, nicht schön war.
    »Ihre Art von Winken ist nicht schön!« sagte der Schauspieler, als er vor den beiden stand. Und die Antwort: ein Schlagen, ein zweimaliges, des Winkers auf die Pistolentasche an seiner Hüfte, aus der unübersehbar das zugehörige Ding ragte. »Polizei!« Stumme Frage: Wie das, ohne Uniform, im Räuberzivil, und mit einem Auto wie gestohlen, ohne Kennzeichen? Und die Antwort wieder: ein zweifaches Drehen an einer Schleife, einer jeweils halb zerrissenen, schmutzigen, um den Oberarm, worauf das Wort »Polizei«, in der Landessprache, wenngleich mit ein, zwei eher zu erratenden Buchstaben, noch zusätzlich zu lesen war.
    Er befand sich auf verbotenem Gelände, das ehemalige Gleisfeld war Sperrgebiet. Ob er das Verbotsschild, samt Schranke, am Zufahrtsweg nicht gesehen habe? Wie sei er eingedrungen? Den Stacheldraht aufgeschnitten? Sein Akzent sei der eines Ausländers, aus einem Feindesland, einem früheren zumindest, und selbst wenn das Jahrhunderte her sein möge. Die Feindschaften zwischen den Völkern hätten Dauer, eine lange Dauer, und könnten heute oder morgen neu aufleben, n’est-ce pas? Was er denn hier zu suchen habe? Auf dem Gelände befinde sich nichts, es sei keine Sehenswürdigkeit, kein historisches Monument, und schon gar kein Erbstück derMenschheit. Habe er nichts anderes zu tun? Habe er überhaupt etwas zu tun? Wie komme es, daß er offenbar Zeit habe, alle Zeit der Welt, allein das mache ihn verdächtig, und dazu noch Zeit für die Wüste hier? Er habe recht gehört, »Wüste«, das sei schon immer der landläufige Ausdruck für eine leere Fläche gewesen, auch wenn in ihr Quellen sprudelten, es grünte und zwischen dem Grün diese und jene Früchte sprossen. Nichts davon aber auf dem toten Gleisfeld. Also? »Welche Gewalttat planen Sie von hier aus? Gesteh: du bist ein Attentäter. Du bereitest hier einen Mordanschlag vor, womöglich auf unseren Staatspräsidenten, der immer wieder Drohbriefe bekommt, geschrieben in einer fehlerhaften Grammatik, wie die deinige. Leer deine Taschen, dalli.«
    Als er nicht schnell genug war, griff der eine der beiden zu und hatte augenblicks sämtliche Taschen seines Anzugs, auch die inneren, die hinteren und die Stecktasche oben, nach außen gestülpt, so daß, was er mit sich trug, auf der vom Morgengewitter noch schlammigen Erde verstreut lag. Bei seinem Eingriff hatte ihm der Polizist beiläufig den Hut mit den Falkenfedern abgestreift und drehte dem Schauspieler nun den Arm auf den Rücken mit den Worten: »Heftpflaster, Schrauben, Schlüssel, Zündhölzer, Zeitzünder getarnt als Mobiltelefon, Messerchen,das klein tut und alle Stücke spielt, Säge, Schere, Dolchnadel, Pinzette und Taschenlampe zugleich. Wenn das kein Beweis ist. Gesteh, Alleintäter, lächerlicher. Weißt du denn nicht, daß kein Alleintäter je an sein Ziel kam? Daß Rastignac kein Alleintäter war, auch Gavrilo Princip nicht, und auch nicht Lee Harvey Oswald?«
    Währenddessen bückte der zweite der Polizisten sich nach den Sachen und steckte sie ihm zurück in die Taschen, welche er zuvor sorgsam wieder von außen nach innen stülpte. Dann trat er einen Schritt beiseite,

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