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Der Große Fall (German Edition)

Der Große Fall (German Edition)

Titel: Der Große Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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anderen. Und er sah sich, wie er ihn, man war das ja von Filmen gewohnt, im letzten Moment noch erreichte. Und ihn rettete.
    Nur – noch einmal – wie? Denn da war doch nichts zu retten – gegen eine Bedrohung aus dem Innern, gegen solch eine dritte Hand, die sich gegen einen selbst wendete, war nichts auszurichten? Er rettete ihn, brachte die geballte Faust im Innern seines Angehörigen zum Verschwinden, machte sie gewichts- und gegenstandslos, indem er sich opferte, recht gehört, opferte. Opferte wie Eastwood in seinem letzten, oder vorletzten, oder vorvorletzten Film, wo er, als Alter, um Frieden zu machen im sich auf den Tod bekämpfenden Quartier, sich erschießen läßt? Nein, nicht wie Clint. Nicht sich opfern für den Friedenund für eine oder überhaupt die Allgemeinheit. Zwar würde auch er sein Leben aufs Spiel setzen, und nicht bloß aufs Spiel, und im Spiel – er wüßte, er würde dabei sterben. Aber opfern würde er sich allein für seinen Angehörigen, für nichts und niemanden sonst, nicht für die Frau, und nicht für einen Nachbarn, einen Fremden oder gar den Frieden in der Welt.
    Die Not des Sohnes, vereint mit dem Opferwillen des Vaters, war derart greifbar, daß mein Schauspieler, als es ihm endlich gelang, die Augen wieder zu öffnen, auf die Füße sprang, wie um weiter in die Richtung der Not zu rennen. Wenn er geträumt hatte, so, wie ein paarmal, gar zu selten, das Wirkliche – das, was angesagt war. Es war danach jetzt angesagt, er solle sich auf den Weg machen und opfern. Und zugleich kam es ihm – fast – ebenso wirklich vor, daß ihm, während er die Augen nicht und nicht aufbrachte, die Schuhe, die er zum Ausruhen ausgezogen und neben sich ins Gras gestellt hatte, abhanden gekommen, gestohlen worden waren, und daß das bedeutete, er könne nicht weiter, er könne nirgendwohin, habe an Ort und Stelle zu bleiben bis zum Sankt-Nimmerleinstag. Verständlich auf einmal der Wunsch, wenn schon zu sterben, dann »in meinen Schuhen«.
    Da standen sie aber, seine Schuhe, nicht einmal besonders schmutzig oder staubig nach dem beinah tagelangen Gehen, und wie gemacht zum Weitergehen. Hier war es dann, daß der Schauspieler es mit einer höchsteigenen Not zu tun bekam. Es war das eine Not, die ihn jeden Tag einmal befiel: die Zeitnot. Er hatte eben noch Zeit gehabt, und plötzlich hatte er keine mehr.
    An dem Tag des Großen Falls überfiel ihn die Zeitnot aus einem besonders heiteren Himmel. Er hatte bisher Zeit gehabt, und weiterhin alle Zeit auf Erden, nachdem ja beschlossen war, den öffentlichen Abend sein zu lassen, und er sogar mit dem Gedanken spielte, die Frau in der Stadt Frau sein zu lassen, und geriet unversehens in die Zeitnot. Ob das wegen des geänderten Lichts war, aus welchem während der Stunde seiner geschlossenen Augen das sommerliche Leuchten verschwunden war, und das, obwohl weiterhin klar und konturstark, womöglich klarer als zuvor, beim Filmen nicht mehr gelangt hätte für die Tagesszenen – ob das aus dem »gebrochenen Licht« kam?
    In Zeitnot geraten, das hieß Durcheinander. Es war ein Durcheinander in jeder Hinsicht, in der Zeit wie im Raum, an Leib und Seele, an sich und mit denanderen. In einer Filmszenerie hätte er, fähig, wie er sonst war, Verschiedenes simultan zu unternehmen, mit der einen Hand eine Tür geöffnet und simultan dem »Toten« einen Fußtritt verabreicht, und simultan einen der in all seinen Rollen üblichen gewundenen Sätze gesprochen, welche oft gar nichts mit der Szene zu tun hatten und deren Verfasser er nicht selten höchstselber war.
    In jener Spätnachmittagsstunde dagegen, aufgewacht inmitten der Stadt und hoch über ihr – wenn er überhaupt geschlafen hatte –, verstrickte er sich heillos in seiner Zeitnot, zog sich die Schuhe verkehrt an, stülpte sich zugleich den Hut umgekehrt auf den Kopf, das Innenfutter nach außen; riß aus dem offenen Buch, seiner Unterlage beim Liegen, die aufgeschlagene Seite, an der er es aufsammelte, heraus und verbog sich die Sonnenbrille, welche er aufsetzte, als hätte er, den Tag über bisher offen und unmaskiert, auf einmal eine Tarnung nötig. Und ob die mit den zwei schief zueinander stehenden Gläsern, eins halb oben auf der Stirn, eins halb unten auf der Wange, ihre Wirkung hätte? Wunsch, das Polizistenpaar möge zurückkehren und ihn, auch zum Schutz vor sich selber, verhaften.
    Zeitnot, Notzeit: ohne es eilig zu haben, hatte man es eilig. Oben wurde unten, rechts wurde links, vorne

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