Der große Gatsby (German Edition)
nächtlichen Verwüstung zu beseitigen.
Jeden Freitag trafen fünf Kisten Orangen und Zitronen von einem Obsthändler in New York ein – jeden Montag wanderten dieselben Orangen und Zitronen in einer Pyramide aus fruchtfleischlosen Hälften zur Hintertür wieder hinaus. In der Küche stand ein Gerät, das binnen einer halben Stunde zweihundert Orangen auspressen konnte, sofern der Daumen eines Butlers zweihundert Mal einen kleinen Knopf drückte.
Alle zwei Wochen mindestens rückte eine Mannschaft Lieferanten an und brachte etliche Bahnen Segeltuch und genügend bunte Lichter, um Gatsbys riesigen Garten in einen Weihnachtsbaum zu verwandeln. Glitzernde Horsd’œuvres zierten die Buffettische, auf denen sich Gewürzschinken an bunt komponierte Salate und Schweine im Blätterteig und dunkelgold gezauberte Puten drängten. In der Empfangshalle wurde eine Bar mit echtem Messinggeländer aufgebaut. Hier gab es verschiedene Gins und Weinbrände und so lange nicht mehr gesehene Liköre, dass die meisten weiblichen Gäste zu jung waren, um einen vom anderen zu unterscheiden.
Spätestens um sieben trifft das Orchester ein – keine mickrige Fünfer-Truppe, sondern ein ganzer Graben voller Oboen, Posaunen, Saxophone, Violen, Kornetts, Pikkoloflöten, hellen und dunklen Trommeln. Inzwischen sind auch die letzten Schwimmer vom Strand zurück und machen sich im oberen Stockwerk zurecht; die Wagen aus New York parken in Fünferreihen vor dem Haus, und schon leuchten die Säle und Salons und Veranden vor satten Farben und seltsamen neuen Haarschnitten und Schals, von denen man in Kastilien nur träumt. An der Bar herrscht Hochbetrieb, und draußen schwärmen Cocktailrunden in jeden Winkel des Gartens aus, bis von all dem Geplauder und Gelächter, den kleinen Anzüglichkeiten, gleich wieder vergessenen Namen und enthusiastischen Begegnungen junger Damen, die nie wussten, wie die andere heißt, die Luft vibriert.
Die Lichter werden heller, je weiter die Erde von der Sonne forttaumelt. Das Orchester spielt goldgelbe Cocktailmusik, und die Stimmenoper rutscht eine Tonlage höher. Das Gelächter perlt von Minute zu Minute leichter; schon ein launiges Wort genügt, und es fließt in verschwenderischen Strömen. Die Gruppen verändern sich rascher, schwellen kurz an, zerstreuen sich und bilden sich im selben Atemzug neu – und schon gehen manche auf Wanderschaft, selbstsichere Mädchen, die sich mal hier, mal dort zwischen die steteren und standfesteren weben, einen intensiven, beglückenden Augenblick lang der Mittelpunkt einer Gruppe sind und dann, von ihrem Triumph beflügelt, im ständig wechselnden Licht durch das changierende Meer aus Gesichtern und Stimmen und Farben davongleiten.
Plötzlich greift eine dieser Zigeunerinnen in irisierendem Opal einen Cocktail aus der Luft, stürzt ihn hinunter, um sich Mut anzutrinken, und tanzt, die Hände wie Joe Frisco bewegend, allein auf die mit Segeltuch bespannte Bühne. Kurze Stille; der Orchesterleiter ändert höflich seinen Rhythmus für sie, und Geschnatter bricht aus, während die irrtümliche Nachricht umgeht, sie sei Gilda Grays zweite Besetzung in den Follies. Die Party hat begonnen.
Ich glaube, ich gehörte an meinem ersten Abend bei Gatsby zu den wenigen Gästen, die tatsächlich eingeladen waren. Die Leute wurden nicht eingeladen – sie gingen hin. Sie stiegen in Autos, die sie nach Long Island beförderten, und landeten irgendwie vor Gatsbys Tür. Einmal dort, wurden sie ihm von jemandem, der ihn kannte, vorgestellt und befolgten von da an die Verhaltensregeln, die im Allgemeinen für Vergnügungsparks gelten. Manch einer kam und ging, ohne Gatsby überhaupt kennengelernt zu haben, kam mit einer Einfalt des Herzens, die eine eigene Eintrittskarte war.
Ich war tatsächlich eingeladen worden. An jenem Samstag war ein Chauffeur in taubeneiblauer Livree frühmorgens über meinen Rasen geschritten und hatte mir eine überraschend förmliche Nachricht seines Herrn überreicht – es wäre Gatsby eine außerordentliche Ehre, stand dort, wenn ich am Abend zu seiner »kleinen Party« erscheinen würde; er habe mich schon einige Male gesehen und mir längst seine Aufwartung machen wollen, doch ein Zusammentreffen seltsamer Umstände habe ihn daran gehindert – gezeichnet, mit schwungvoller Handschrift, Jay Gatsby.
In weiße Flanellhosen gekleidet, ging ich kurz nach sieben Uhr in seinen Garten hinüber und wanderte ein wenig befangen zwischen den Wirbeln und Strudeln mir
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