Der große Gatsby (German Edition)
als Steward, Maat, Skipper, Sekretär und sogar Gefängniswärter, denn Dan Cody wusste nüchtern sehr gut, zu welchen Ausschweifungen Dan Cody betrunken aufgelegt sein konnte, und sorgte für solche Eventualitäten vor, indem er immer größeres Vertrauen in Gatsby setzte. Dieses Abkommen hielt fünf Jahre, während deren das Schiff dreimal den Kontinent umsegelte. Es hätte noch ewig halten können, wäre nicht eines Nachts in Boston Ella Kaye an Bord gekommen und Dan Cody eine Woche später so ungastlich gewesen zu sterben.
Ich erinnere mich an sein Porträt oben in Gatsbys Schlafzimmer: ein grauer, rüstiger Mann mit einem ausdruckslosen, harten Gesicht – Pionier der Libertinage, der in einer gewissen Phase der amerikanischen Geschichte die rauhen Bordell- und Saloonsitten des Wilden Westens an die östlichen Gestade brachte. Es lag indirekt an Cody, dass Gatsby so wenig trank. Im Verlauf mancher ausgelassenen Party rieben Frauen ihm Champagner ins Haar; er selber gewöhnte es sich an, dem Alkohol fernzubleiben.
Cody vererbte ihm auch Geld – ein Vermögen von fünfundzwanzigtausend Dollar. Aber er bekam es nicht. Er fand nie heraus, welcher rechtliche Trick gegen ihn verwendet wurde, doch was von den Millionen übrig war, ging komplett an Ella Kaye. So musste er sich mit seiner maßgeschneiderten Ausbildung begnügen; die vagen Umrisse Jay Gatsbys hatten sich mit der Substanz eines Mannes gefüllt.
All dies erzählte er mir erst viel später, aber ich füge es schon an dieser Stelle ein, um jenen frühen, wilden Gerüchten über seine Herkunft, die nicht annähernd der Wahrheit entsprachen, den Boden zu entziehen. Im Übrigen erzählte er es mir zu einem Zeitpunkt, als ich so verwirrt war, dass ich alles und gar nichts mehr glaubte, was ich über ihn erfuhr. Deshalb wollte ich die kurze Pause, in der Gatsby sozusagen Luft holte, nutzen, um mit all den falschen Vorstellungen aufzuräumen.
Auch ich war für eine Weile nicht in seine Angelegenheiten verwickelt. Ein paar Wochen lang bekam ich ihn weder zu Gesicht, noch ließ er telefonisch von sich hören – meistens hielt ich mich in New York auf, wo ich mit Jordan durch die Gegend zog und mich bei ihrer senilen Tante einzuschmeicheln versuchte –, doch eines Sonntagnachmittags ging ich schließlich zu ihm hinüber. Ich war kaum zwei Minuten dort, als Tom Buchanan auf einen Drink hereingeführt wurde. Das überraschte mich natürlich, aber viel erstaunlicher schien im Grunde, dass es nicht schon früher geschehen war.
Er war in Begleitung zweier Freunde, und alle drei waren zu Pferde gekommen – Tom, ein Mann namens Sloane und eine hübsche Frau in brauner Reitkleidung, die ich schon einmal bei Gatsby getroffen hatte.
Gatsby stand auf der Veranda. »Ich bin hocherfreut, Sie zu sehen«, sagte er. »Ich bin hocherfreut, dass Sie vorbeischauen.«
Als ob sie das kümmerte!
»Setzen Sie sich doch. Nehmen Sie sich eine Zigarette oder eine Zigarre.« Er lief mit raschen Schritten durchs Zimmer und läutete diverse Glocken. »Ich lasse Ihnen sofort etwas zu trinken bringen.«
Toms Anwesenheit brachte ihn beträchtlich aus der Ruhe. Aber es wäre ihm ohnehin nicht wohl gewesen, ehe er ihnen nicht etwas angeboten hätte, denn ihm war vage bewusst, dass sie allein deswegen gekommen waren. Mr. Sloane wollte nichts. Eine Limonade? Nein, danke. Einen Schluck Champagner? Gar nichts, danke… Verzeihen Sie…
»Hatten Sie einen schönen Ausritt?«
»Sehr gute Wege hier draußen.«
»Obwohl die Autos doch sicher –«
»Ja.«
Einem unwiderstehlichen Impuls folgend, wandte Gatsby sich an Tom, der nicht gemuckt hatte, als man ihn als Fremden vorstellte.
»Ich glaube, wir sind uns schon einmal irgendwo begegnet, Mr. Buchanan.«
»O ja«, sagte Tom rauh, aber höflich und offenbar ohne sich zu erinnern. »Das sind wir. Ich erinnere mich gut.«
»Vor ungefähr zwei Wochen.«
»Stimmt. Sie waren mit Nick zusammen.«
»Ich kenne Ihre Frau«, fuhr Gatsby beinahe aggressiv fort.
»Ach ja?«
Tom wandte sich mir zu.
»Wohnst du hier in der Nähe, Nick?«
»Nebenan.«
»Ach ja?«
Mr. Sloane beteiligte sich nicht an der Unterhaltung, sondern lehnte sich selbstgefällig in seinem Stuhl zurück; auch die Frau blieb stumm – erst nach zwei Highballs taute sie plötzlich auf.
»Wir kommen alle zu Ihrer nächsten Party, Mr. Gatsby«, schlug sie vor. »Was meinen Sie?«
»Unbedingt. Ich würde mich sehr freuen.«
»Wär nett«, sagte Mr. Sloane ohne Dankbarkeit.
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