Der große Gatsby (German Edition)
Tod vor, so monströs, dass meine Augen es nicht mehr zu korrigieren vermochten. Und als der blaue Rauch trockener Blätter die Luft erfüllte und der Wind die nasse Wäsche auf der Leine steif blies, beschloss ich, nach Hause zurückzukehren.
Etwas musste noch geregelt werden, ehe ich ging, eine peinliche, unangenehme Angelegenheit, die man vielleicht besser auf sich hätte beruhen lassen. Aber ich wollte alles ins Reine bringen und nicht einfach darauf vertrauen, dass jenes willfährige und gleichgültige Meer meine Abfälle schon mit sich fortspülen würde. Ich traf mich mit Jordan Baker und redete darüber und darum herum, was mit uns beiden geschehen war und was hinterher mit mir allein geschehen war, und sie lag vollkommen reglos in einem großen Sessel und hörte mir zu.
Sie hatte ihren Golfdress an, und ich weiß noch, dass ich fand, sie sehe wie eine gelungene Illustration aus: das Kinn anmutig ein wenig vorgereckt, das Haar von der Farbe eines Herbstblatts, das Gesicht so braun wie der fingerlose Handschuh auf ihrem Knie. Als ich geendet hatte, teilte sie mir kommentarlos mit, sie sei mit einem anderen Mann verlobt. Das bezweifelte ich, obwohl es eine Reihe von Männern gab, die sie auf den kleinsten Wink hin hätte heiraten können, aber ich tat so, als wäre ich überrascht. Ich überlegte kurz, ob ich nicht einen Fehler machte, doch dann besann ich mich rasch wieder und stand auf, um ihr Lebewohl zu sagen.
»Trotzdem hast du mich ganz schön abblitzen lassen«, sagte Jordan plötzlich. »Damals am Telefon. Heute bist du mir völlig schnuppe, aber es war eine neue Erfahrung für mich, und eine Zeitlang war ich ein bisschen benommen.«
Wir schüttelten uns die Hand.
»Ach, übrigens«, fügte sie hinzu, »erinnerst du dich noch an unser Gespräch übers Autofahren?«
»Hm – nicht so genau.«
»Du hast gesagt, ein schlechter Autofahrer habe nichts zu befürchten, solange er nicht auf einen anderen schlechten Autofahrer treffe. Tja, und genau das ist mir passiert, nicht wahr? Ich meine – es war leichtfertig von mir, dich so falsch einzuschätzen. Ich dachte, du wärst ein ehrlicher, geradliniger Mensch. Ich dachte, das wäre dein heimlicher Stolz.«
»Ich bin dreißig«, sagte ich. »Ich bin fünf Jahre zu alt, um mich selbst zu belügen und es Ehre zu nennen.«
Sie gab keine Antwort. Gereizt und halb in sie verliebt und mit grenzenlosem Bedauern wandte ich mich ab und ging.
Eines Nachmittags Ende Oktober sah ich auf der Fifth Avenue Tom Buchanan wieder. Er lief auf jene für ihn so typische wachsame, streitlustige Weise vor mir her, die Arme leicht abgewinkelt, als müsste er sich permanent Zudringlichkeiten vom Leibe halten, während sein Kopf sich ruckartig hierhin und dorthin wandte, um seinen ruhelosen Augen zu folgen. Da ich ihn nicht überholen wollte, verlangsamte ich meinen Schritt, doch im selben Moment blieb er stehen und blickte stirnrunzelnd in das Schaufenster eines Juweliers. Plötzlich sah er mich und kam mit ausgestreckter Hand auf mich zu.
»Was ist los, Nick? Gibst du mir jetzt nicht mal mehr die Hand?«
»Nein. Du weißt, was ich von dir halte.«
»Du bist verrückt, Nick«, sagte er rasch. »Völlig verrückt. Ich weiß nicht, was in dich gefahren ist.«
»Tom«, fragte ich ihn, »was hast du an jenem Nachmittag zu Wilson gesagt?«
Er starrte mich wortlos an, und ich wusste, dass meine Vermutung hinsichtlich der fraglichen Stunden richtig war. Ich wandte mich zum Gehen, doch er kam einen Schritt hinter mir her und packte mich am Arm.
»Ich habe ihm die Wahrheit gesagt. Kurz bevor wir aufbrechen wollten, stand er unten vor unserer Tür, und als ich ihm ausrichten ließ, wir seien nicht zu Hause, versuchte er gewaltsam die Treppe heraufzukommen. Er war derart von Sinnen, er hätte mich umgelegt, wenn ich ihm nicht gesagt hätte, wem der Wagen gehörte. Er hatte einen Revolver in der Tasche und ließ ihn, solange er im Haus war, nicht eine Sekunde los…« Er hielt trotzig inne. »Ich hab’s ihm gesagt – na und? Der Kerl hat doch das Schicksal herausgefordert. Er hat dir Sand in die Augen gestreut, genau wie Daisy, aber er war ein knallharter Bursche. Hat Myrtle überfahren wie einen Hund und nicht mal angehalten.«
Dazu gab es nichts zu sagen, außer der einen, unaussprechlichen Tatsache, dass es nicht die Wahrheit war.
»Und wenn du glaubst, ich hätte nicht gelitten – ich sage dir, als ich die Wohnung auflöste und die verdammte Schachtel Hundekuchen im Regal
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