Der grosse Horizont
man benötigte Augenblicke, in denen man ruhig und friedlich war. Eine gefleckte Katze lief über die Terrasse. Die Polaroidfotografie trocknete auf dem Holztisch. Als er Kapra eine Fotografie seiner Frau zeigen wollte, bemerkte er, daß er die Fotografie verloren hatte. Er vermochte für kurze Zeit nicht zu sprechen, sondern suchte krampfhaft nach Gedanken, die sich nicht einstellen wollten. Wo hatte er die Fotografie verloren? In Mehrings Wohnung? In Carsons Zimmer? Wenn er das Bild tatsächlich in Carsons Zimmer verloren hatte, befand er sich in einer gefährlichen Situation. Würde die Polizei wissen, daß er sich hier, in Santa Monica, aufhielt? Sie konnten natürlich über die Fluggesellschaft herauskriegen, wohin er geflogen war. Er hatte seinen richtigen Namen angegeben. Aber andererseits wußte niemand seinen Namen. Solange man nicht wußte, wer er war, würde man nichts unternehmen können. Man konnte jedoch Mehring benachrichtigen, und wenn Mehring etwas mit der Sache zu tun hatte, würde er ihn belasten. Andernfalls würde er versuchen, mit ihm Verbindung aufzunehmen, um ihn zu warnen.
Ein zweiter Straßenköter lief über die Terrasse und fraß Hundefutter aus einem Napf. Kim kam aus der Küche, streichelte den Hund flüchtig, klopfte Haid freundschaftlich auf die Schulter und verschwand wieder. Haid stand auf und folgte ihr. Er setzte sich, und Kim entdeckte einen Riß an seiner Hose. Tatsächlich war eine Naht zwischen den Beinen aufgeplatzt. Kim machte sich erbötig, die Hose zu nähen, und Haid streifte sie ab und sah zu, wie Kim sich auf die Terrasse setzte und stumm die Hose zu nähen begann. Er spazierte in der Unterhose herum und spähte durch das Fenster ins Grüne. Einer der Hunde sprang an ihm hoch, um ihm das Gesicht zu lecken. Gerade als Kim fertiggenäht hatte, begann es zu regnen. Haid schaute auf das Meer hinaus, das nun grau war und dessen weiße Gischt zähflüssig über den Strand lief. Der Regen klatschte auf die Terrassenbretter. Haid streichelte die Hunde und blickte immer wieder aus dem Fenster, um die Bäume und Sträucher zu sehen, die im Regen glänzten. Er sah an einer der Türen die Abbildung einer russischen Ikone hängen. Der Hund sprang mit einem Satz auf das Bett, ließ sich von ihm streicheln und schlief ein. Plötzlich sprang er hoch und begann zu bellen, denn ein großer, schwarzer Hund lief über die Terrasse; er blieb vor dem Futternapf stehen. Der zweite Straßenköter kam aus der Küche gestürzt und besprang den schwarzen Hund, der jetzt so sehr erregt war, daß sein Glied wie ein rohes, rotes Fleischstück wegstand. Er ging mit krummen Hinterläufen herum und verschwand dann wieder über die Holztreppe.
Haids Magenschmerzen hatten nachgelassen. Im Nachhinein bemerkte er, daß die Magenschmerzen ihm nicht nur unangenehm gewesen waren. Plötzlich fiel ihm die Serviette ein. Er schlenderte auf die Terrasse und stieg die Holztreppe hinunter, so als interessiere er sich dafür, wohin sie führte. Unterhalb der Terrasse stand ein viereckiger Vogelkäfig. Er war mit einem feinen Netz aus Draht bespannt. Unter dem Käfig war ein Schild mit einem lateinischen Namen angebracht. Der Käfig war leer. Haid nahm die Serviette aus der Tasche. Er fand eine Konservendose, stopfte die Serviette in die Konservendose und warf sie weit in das Gestrüpp hinein. Als er wieder in die Küche trat, hörte er Kapra im Nebenzimmer telefonieren. Gleich darauf kam Kapra aus dem Zimmer. Haid fragte ihn über das Buch A SEPARATE REALITY aus und Kapra erzählte, daß das Buch von Erfahrungen mit Drogen handle. Um nicht auf das Gespräch eingehen zu müssen, fragte er Kapra, was auf dem Bild an der roten Türe dargestellt sei. Kapra sagte, dies sei die Abbildung der Apsis einer griechischen Kapelle und keine Ikone. Während er zuhörte, bemerkte Haid den abgenutzten, blauen, orientalischen Teppich unter seinem Stuhl. Der Teppich war mit reichen Ornamenten verziert und an verschiedenen Stellen so abgetreten, daß man die braunen Webfäden erkennen konnte. Der unförmig große Kühlschrank in der Ecke war mit Lippenstift beschrieben. Die Buchstaben waren groß und in Eile hingeschrieben worden: »ICH BIN VON KOPF BIS FUSS AUF LIEBE EINGESTELLT.« Als Haid das las, fiel ihm das Notizbuch ein, und er dachte, während er Kapra und Kim zuschaute, wie sie dampfende Spaghetti in Teller abfüllten, an die Überschrift: FREUNDE DER ERDE. Er begann von San Francisco zu sprechen und erzählte, was ihm
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