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Der grosse Horizont

Der grosse Horizont

Titel: Der grosse Horizont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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unter jenen Stellen der Haut, wo seine Hand auf dem Tisch lag, kalt wurde. Die Kälte strömte hinauf bis unter die Achsel. Haid trank einen Schluck Bier, als er plötzlich alle Zellen seines Körpers fühlte, wie winzige Eiswürfel, in die sein Körper zu zerbröckeln drohte. Er entschuldigte sich und bat Kapra, ihn nach Hause zu bringen. Kapra sagte, daß er sich nicht zu entschuldigen brauche. Als sie in das Haus zurückgekehrt waren, aßen sie in der Küche die kalten, übriggebliebenen Spaghetti. Der Hund schlief unter dem Küchentisch.
     
     
5
     
     
    Um sechs Uhr weckte ihn der Hund, indem er ihm zärtlich in die Hand biß. Haid kroch aus dem Bett und öffnete die Tür zur Terrasse und der Hund lief hinaus. Draußen raschelte das Laub. Die Ränder des Himmels sahen aus wie vergilbtes Zeitungspapier. Haid blickte zum Apartmenthaus hinüber, und es schien ihm ausgestorben zu sein. In der Ferne zwitscherte ein Vogel. Da es kalt war, schloß er die Tür und legte sich mit einem Buch, das er auf einem Stapel Zeitungen fand, wieder in das Bett. In dem Buch waren Fotografien von Adolf Hitler abgebildet. Auf einem der Bilder saß Hitler in einem Auto neben Hindenburg, mit langem Haar und einer Blume im Knopfloch, auf einem anderen stand er in einem Auto, das über eine von Blumen übersäte Straße fuhr, auf dem nächsten Bild posierte er in Frack und Zylinder, die Hände vor dem Bauch, mit ernstem Gesicht. Ein Bild zeigte Hitler mit Hut auf einem Schlitten sitzend, eines zeigte ihn, einen Schäferhund beobachtend, der über ein Hindernis sprang, eines mit einem Vogel auf der Schulter, eines in einem Museum vor der Plastik einer nackten Frau.
    Haid kamen die Bilder vor wie reale Vorspiegelungen von etwas Unwirklichem. Die Fotografien hatten etwas Unglaubwürdiges an sich, sie drückten nicht Realität aus, sondern hatten das Fluidum einer erfundenen Szenerie. Erst das Wissen um die Zusammenhänge ließ ihn die Bilder auf eine ganz bestimmte Weise betrachten. Es fiel ihm auf, daß die Aufnahmen so gemacht waren, daß sie eine romantische Aura erzeugten. Sie waren in der Absicht angefertigt worden, daß die Menschen sich mit dem Abgebildeten identifizierten. Haid hatte im Winter die ERINNERUNGEN ALBERT SPEERS gelesen und nächtelang von den beschriebenen Räumen geträumt, von riesigen Sälen, die prunkvoll ausgestattet waren und in denen er sich als winziges Wesen bewegte, das nur das Bedürfnis empfunden hatte, den Dimensionen gewachsen zu sein. Er schlief über dem Buch ein und erwachte erst, als Kapra ihn zum Frühstück rief.
     
     
6
     
     
    Den folgenden Tag über war Haid abwesend. Einmal fiel ihm ein, daß Mehring Carson nicht getötet haben konnte. Die Zeit vom Augenblick, als er das Badezimmer betreten hatte, bis er in das Schlafzimmer zurückgekehrt war, war zu kurz gewesen, um Carson zu erwürgen. Außerdem hatte er an Carsons Hals keine Spur einer Gewaltanwendung feststellen können. Also mußte Carson krank gewesen sein. Er überlegte, Mehring anzurufen, während Kapra mit ihm nach Los Angeles fuhr. Er versuchte sich auf die grünen Wiesen zu konzentrieren, die an der Promenade entlang dem Meer angelegt waren, auf die Palmen und die weißen, runden Beleuchtungskörper an den hohen Betonsäulen, aber er nahm immer nur Stücke wahr, vergaß, was er gesehen hatte und sah wieder eine Einzelheit. In den Wiesen liefen Sportler in Turnkleidung. Es sah aus, als trainierten sie für ein schweres Rennen. Kapra sprach mit ihm, und er riß sich für einige Sekunden los und antwortete auf die letzten Wörter, die er gehört hatte. Dann ersuchte Kapra ihn, einen Brief in einen Postkasten einzuwerfen. Der Postkasten war blau und groß und Haid konnte keinen Einwurfschlitz entdecken. Schließlich entdeckte er einen schubladenähnlichen Mechanismus und zog an. Die Lade gab ein häßlich quietschendes Geräusch von sich. Gleichzeitig wurde die Rückseite der Lade aufgeklappt, die rot war wie eine Zunge. Es kam Haid vor, als werfe er den Brief in einen Mund. Gegenüber dem Briefkasten war die Auslage eines Geschäftes mit farbigen Buchstaben und Ziffern beschrieben. In der Mitte der Auslage war eine menschengroße 4 in schwarzer Farbe gemalt. Haid bezog die Ziffer für einen Bruchteil einer Sekunde auf sich, dann ging er die Palmenallee hinunter zur Wells Fargo Bank, vor der Kapra wartete.
     
     
7
     
     
    Als sie sich Los Angeles näherten, bemerkte er, daß die Straßenhänge mit Efeu bewachsen waren. Gerade als

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