Der grosse Horizont
Haid sich an die Efeublätter gewöhnt hatte, ging das Grün der Blätter blitzartig in das schillernde Violett blühender Blumen über, und als Kapra erklärte, daß in einigen Wochen alles violett blühen werde, wurde Haid schwindlig. Sie überholten ein Auto mit verbogenem und verrostetem Kühlergrill und demolierten Stoßstangen. Der Fahrer im zerfallenden Auto rauchte gelangweilt eine Zigarre und warf Haid einen bösen Blick zu, als er merkte, daß er ihn beobachtete. Haid zündete sich automatisch eine Zigarette an und verbrannte sich den Mittelfinger. Die Sonne schien und der Himmel war weit, wie durch ein Weitwinkelobjektiv aufgenommen. Erst jetzt bemerkte Haid, daß sein Mund nicht mehr schmerzte. In Los Angeles hielten sie vor dem Gerichtsgebäude, und Kapra machte ihn mit seinem Freund, einem Gerichtssaalreporter, bekannt. Der Reporter hieß O’Maley, war mittelgroß, korpulent, schwarzhaarig, etwa 35 Jahre alt. Sein Gesicht war rosig und er trug einen grauen Hut mit breitem, schwarzem Band und eine Sonnenbrille, in der Haid für einen Augenblick sein Gesicht sah. Zu seinem schwarzen Hemd hatte er nachlässig eine gelbe Krawatte um den Hals gebunden. Während er in das Auto stieg, öffnete er die Krawatte und stopfte sie in die Tasche. Er saß so nahe neben Haid, daß Haid den starken Bartwuchs in seinem Gesicht und die einzelnen Barthaare seines Schnurrbartes erkannte. Beim Sprechen konnte Haid sehen, daß seine Zähne leicht auseinanderstanden. Kapra erzählte, als er anfuhr, daß O’Maley einige Jahre bei der Polizei gearbeitet habe. Auf eine Frage Haids antwortete O’Maley, daß er selten Gewalt angewendet habe. Schon bei den ersten Sätzen, die O’Maley sprach, stellte Haid fest, daß O’Maley kurz angebunden war. Er konnte gewiß voll Unternehmungslust sein, war jedoch auch fähig, seine Fröhlichkeit plötzlich in Spott zu verwandeln.
Wenn ein Verbrecher vernünftig gewesen sei, sagte O’Maley mit einem kurzen Gelächter, sei ihm kein Haar gekrümmt worden.
Haid antwortete in einem freundlichen Ton, den anzuschlagen er gar nicht beabsichtigt hatte, daß er das anständig fände.
O’Maley sagte darauf mit unerwartetem Ernst, der auch Höflichkeit sein konnte, daß er sich immer sehr um Korrektheit bemüht habe. Natürlich sei Korrektheit nicht immer möglich. Manchmal habe man es mit den verkommensten Subjekten zu tun. Es gäbe Situationen, in denen man sich nicht mehr an Vorschriften halten könne.
Haid fühlte sich auf eine unangenehme Weise angesprochen und fragte ihn, um von sich abzulenken, ob er schon jemanden zu Unrecht verhaftet habe. O’Maley dachte nach und sagte dann nein, das sei ihm noch nie passiert. Die Verhafteten seien selten unbescholtene Staatsbürger. Zumeist seien sie schon wegen anderer oder gleicher Delikte vorbestraft. Es sei ihm häufig passiert, daß er denselben Verbrecher in den Jahren, in welchen er bei der Polizei gearbeitet habe, mehrmals verhaftet habe. Er habe diese Verbrecher mit dem Vornamen angesprochen und auch sie hätten ihn erkannt und ihm keine Schwierigkeiten gemacht. Dann fragte Haid, ob man einen Verdächtigen automatisch verhafte. Er bemühte sich in gleichgültigem Ton zu sprechen, obwohl er eine immer stärkere Angst fühlte. »Nein«, sagte O’Maley, »wir beobachten, falls das möglich ist, sehr lange, bevor wir verhaften. Wir beobachten auf die unauffälligste und genaueste Weise.« Häufig sei die unauffällige Beobachtung eine sehr kostspielige Angelegenheit, weswegen man natürlich bemüht sei, so rasch wie möglich Beweise zu sammeln, die eine Verhaftung rechtfertigten. Es gäbe allerdings viele Fälle, in welchen sich eine Beobachtung erübrige.
Haid wollte nun wissen, auf welche Weise beobachtet würde. »Da gibt es keine generelle Technik«, antwortete O’Maley, »jedenfalls würden Sie, wenn Sie beobachtet würden, keinen Verdacht schöpfen. Ich könnte zum Beispiel eingesetzt sein, um Sie zu beobachten.« Oder man würde das Telefon überwachen. Oder er würde abwechselnd von verschiedenen Leuten beobachtet werden, so daß ihm nichts Besonderes auffallen würde.
Haid wollte jetzt etwas über Verhörmethoden wissen; er war so erregt, daß er nur mühsam sprach, aber O’Maley wollte darüber nicht reden. Er sagte, er habe genug davon. Kapra sagte, daß er das verstehe, und lachte. Daraufhin schwieg Haid.
Sie fuhren zu O’Maleys Wohnung, und O’Maley lud sie auf einen Drink ein. »Wie lange wollen Sie noch hierbleiben?«,
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