Der grosse Horizont
Frage rasch wieder auf den Tisch zurückstellte.
»Ich weiß nicht«, antwortete Haid. »Nein, was Sie von ihr halten?«, wiederholte O’Maley. Haid warf einen Blick auf die Bücher am Tisch und las die Titel. O’Maley nahm eine rötlichbraune Steinfigur mit dem Gesicht eines Malayen vom Tisch, warf einen Blick in den Kopf der Figur, da das Schädeldach vasenförmig geöffnet war und Gegenstände im Hohlraum vermuten ließ. »Sehen Sie hier: ALSO SPRACH ZARATHUSTRA … wer sagt Ihnen, ob sie es gelesen hat?«, sagte O’Maley. »Wer sagt Ihnen, ob es für Friederike etwas bedeutet, dieses Buch zu besitzen, vielleicht hat man es ihr geschenkt.«
»Ich ziehe keine Schlüsse«, entgegnete Haid. O’Maley antwortete, er habe sich das Schlüsseziehen bei der Polizei angewöhnt. Haid stand auf und wollte in die Küche gehen, aber im selben Augenblick kam Friederike mit einer Kanne Tee herein und stellte sie auf einen Sessel. O’Maley beobachtete Haid jetzt aufmerksam. Haid machte einen Schritt zur Küche, um vorzutäuschen, er wolle einen Blick auf die Küchenuhr werfen. »Es ist drei Uhr«, antwortete O’Maley, Kapra blickte auf seine Uhr und bestätigte die Uhr zeit.
»Ich trage nie eine Uhr«, sagte O’Maley. Daraufhin begann Kapra, während er nach einer Tasse Tee griff, von einem Experiment zu sprechen, das sich mit der Erforschung der Empfindungen von Pflanzen beschäftigte. Haid hatte sich wieder gesetzt.
Friederike wollte Genaueres über das Experiment wissen und Kapra erzählte, wie man aus der Temperaturveränderung in einer Pflanze, die aufgetreten war, als einer Versuchsperson in Hypnose Qualgefühle und dann Gefühle der Wollust suggeriert worden waren, auf die Hypothese kam, Pflanzen hätten ein Seelenleben.
»Ja«, sagte O’Maley, »und das wiederum beeinflußt den Menschen.« O’Maley war, obwohl Friederike und Kapra nun bei ihnen saßen, damit fortgefahren, die Gegenstände vom Schreibtisch zu heben und zu untersuchen. Als das Gespräch kurz stillstand und Haid an den Satz dachte, daß das Seelenleben von Pflanzen ihn beeinflußte, fragte ihn Friederike, ob er Schach spiele. Haid antwortete ja. Friederike stellte die Figuren auf und Haid gewann das Spiel, obwohl er ein schlechter Spieler war. Während des Spiels hatte er den Eindruck, als wollte Friederike mit ihm auf diese Weise sprechen. Sie übersah eine Figur und warf ihm, als er die Figur nahm, einen sanften Blick zu.
15
Am frühen Morgen wurde der Hund in der Ecke unruhig. Er erhob sich, streunte herum und begann in der Küche asthmatisch zu keuchen. Friederike führte ihn vor das Haus und beruhigte ihn. Haid hatte inzwischen ein Buch von W. B. Yeats entdeckt. Gerade als er den Titel A VISION las, hörte er durch die offene Haustür einen Vogel zwitschern. Der Hund beruhigte sich, trottete wieder herein, legte sich Haid zu Füßen und blickte ihn mit bernsteinfarbenen Augen an. Friederike öffnete die Vorhänge, und es wurde hell im Zimmer. »Wann fahren Sie nach Las Vegas?«, fragt O’Maley. »Morgen«, antwortete Haid.
»Ich würde Sie gern begleiten. Ich glaube, ich könnte es mir einrichten, ein paar Tage dafür freizubekommen.« Haid traf der Wunsch O’Maleys völlig unvorbereitet. War es Zufall? Steckte Absicht dahinter? – Nein, es war grotesk! Man würde ihn niemals auf diese Weise verfolgen lassen! Oder doch? – Sein Kopf war voll von wirren Überlegungen. »Natürlich«, antwortete Haid. Er hatte vergessen, was O’Maley zuletzt gesagt hatte.
»Sie selbst haben mich auf die Idee gebracht«, fuhr O’Maley fort.
»Du mußt auf dein Geld aufpassen, wenn du mit ihm fährst«, sagte Kapra.
Haid lachte. Friederike blieb ernst. Sie blickte aus dem Fenster, und als Haid ihrem Blick folgte, sah er ein Gewirr aus beschnittenen Efeuranken wie ein Wurzelgeflecht vor dem Fenster. Friederike hatte bemerkt, daß er ihrem Blick gefolgt war und sagte, daß manchmal Ratten auf den Ästen herumkletterten. Das beginnende Tageslicht fiel träge auf die grün und weiß gestrichenen Fensterläden. Haid begann zur Ablenkung von Adalbert Stifters Stil zu sprechen. Das Poetische sei die Voraussetzung für den Realismus, sagte er. Ohne Poesie gäbe es keinen Realismus, denn auch das ununterbrochene Erfahren der Gegenwart setze keine Handlung im Sinne eines erzählbaren Inhaltes zusammen. Der Inhalt sei immer eine Abstraktion. Bei Stifter werde die Poesie und die Handlung gleichzeitig in jedem Satz transportiert. Jede Seite im
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