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Der grosse Horizont

Der grosse Horizont

Titel: Der grosse Horizont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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fragte er Haid, als sie die Treppe hochstiegen. »Ein paar Tage. Vielleicht fahre ich schon morgen oder übermorgen.« Kapra war erstaunt darüber, denn er hatte mit einem längeren Aufenthalt Haids gerechnet. Haid hatte jedoch überlegt, daß Mehring in ein oder zwei Tagen zurückkommen und Carson finden würde, falls sie nicht ohnehin schon gefunden worden war, und dann würde es leichter für die Polizei sein, ihn in Santa Monica auszuforschen als in Las Vegas. Er erklärte auch, daß er die Absicht habe, in Las Vegas zu spielen, und daß er nach New York fliegen wolle und alles in allem nicht viel Zeit zur Verfügung hätte.
    O’Maley nickte und sagte, daß er selbst gerne spiele. Er spiele zumeist Black Jack oder Poker, aber in letzter Zeit habe er sehr wenig gespielt.
    Er sperrte die Türe zu seiner Wohnung auf und riet dabei Haid, vorsichtig zu spielen, die meisten würden in Las Vegas verlieren. Haid gab zur Antwort, daß er Roulett spiele und einen fixen Betrag dafür eingeplant habe.
    O’Maley fand das sehr vernünftig. Er bot ihnen Platz im Wohnzimmer an und holte eine Flasche Whisky aus der Küche.
    Währenddessen wurde es Haid klar, daß er einen weiteren Fehler gemacht hatte. Warum hatte er angegeben, daß er nach Las Vegas fahren würde. Er hätte Las Vegas verschweigen und nur New York angeben sollen. Jetzt aber würde er sich doppelt verdächtig machen, wenn er nicht nach Las Vegas fahren und die Polizei nach ihm suchen würde.
    Er stand auf, trat mit dem Rücken zum Fenster und ließ seinen Blick über das Mobiliar schweifen. Die rotlackierten Holzteile der Couch und die rotlackierten Beine des Tischchens mit Glasplatte glänzten im Licht der einfallenden Sonne. Auf allen Gegenständen lag Staub.
    O’Maley kam wieder herein und stellte die Whiskyflasche und Gläser auf das Tischchen. »Alles ist voll Staub«, sagte er und machte eine Handbewegung. »Alles ist schmutzig. Ich habe zu wenig Zeit, um sauberzumachen. Ich krieg manchmal Brechreiz von all dem Staub.«
    Später sagte Kapra, daß in Amerika die Städte zufällig und wild zu wachsen scheinen. Es herrsche eine anarchische Atmosphäre. Gerade das Straßenleben vermittle den Eindruck von Anarchie. O’Maley pflichtete ihm bei und meinte, daß die Polizei selbst als Instrument »organisierter Anarchie« zu betrachten sei. »Sie werden das in New York noch sehen«, sagte er zu Haid hin und lachte.
     
     
8
     
     
    Auf der Rückfahrt saß O’Maley neben Haid im Fond des Wagens. Das Autoradio lief und die beleuchteten Reklameschilder am Straßenrand sahen aus wie elektrische Phantasiespielkarten, die entlang des Highways aufgestellt waren. Auf der Fahrt über den High Way hatte Haid mehrmals das Gefühl, als schlucke ein riesiger, dunkler Trichter die Straße und die Fahrzeuge und die Reklameschilder. Gleichzeitig bestürzte ihn der weite, tief grüne Himmel und die untergehende Sonne, die den Horizont gelb färbte. Haid empfand mit einem Mal eine unbestimmte Sehnsucht. Was war er? Klein, wehrlos, geschwätzig und mit seinem Ich unrettbar verbunden. Sein Ich hing an ihm wie eine Klette. Es veranlaßte ihn zu Lügen, zu Grimassen, zur Verstellung. Es verlangte stets eine Bestätigung und trieb ihn dazu, so aufzutreten, als sei er im Recht. Als sei er das wandelnde Recht, das stets respektiert werden müsse, das Urteile fällen müsse und dürfe, ohne sich in das Urteil miteinzuschließen. Wenn er erfuhr, daß man hinter seinem Rücken über ihn sprach, war er erstaunt, als handle es sich um einen Traum. Verhielt er sich anders? Waren nicht die anderen Menschen der Stoff seiner Gespräche? Ordnete er diese Menschen nicht so in seiner Erinnerung ein, wie es für ihn selbst am besten war? Und das Erzählen einer Erinnerung, war es nicht immer mit einer Pose verbunden? Schlüpfte er nicht immer in eine lächerliche, ungeschickte, harte, mitleidige, sensible, gekränkte, überlegene Erzählfigur, die an seiner Stelle die Erinnerung stets verzerrt berichtete, die nie von der Angst berichtete, die er beim Reisen empfand und nichts vom Bedürfnis, am Flugplatz den Eindruck großstädtischer Gelassenheit zu erwecken, die ihn verschweigen ließ, wie er zu seinem Vorteil heuchelte, wie er bei der ersten Umarmung einer Prostituierten zitterte und hin- und hergerissen wurde, sich überlegen zu geben oder sich vollkommen aufzugeben, die ihn sich verhalten ließ, WIE EINE ERDACHTE FIGUR UND NICHT WIE EIN MENSCH.
    Und jetzt, als er zwischen den beleuchteten

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