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Der grosse Horizont

Der grosse Horizont

Titel: Der grosse Horizont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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eine Zigarette an und sie fuhren langsam den Hügel hinauf. »Das hatte keine Bedeutung«, sagte Kapra. Vor einem Haus mit einer schwarzgestrichenen Holztreppe wuchsen zwei große Agaven, und ein kleiner, weißer Hund zerrte in einem Garten an einer amerikanischen Flagge, die vor einem Swimmingpool auf einem Plastiksessel lag.
     
     
16
     
     
    Als sie das Haus betraten, schlüpfte O’Maley wütend in seine Hose. Die Socken lagen auf dem Boden und sein Hemd war aufgeknöpft. Kapra wurde bleich und stürzte in die Küche. Gleich darauf hörte Haid ihn erregt flüstern. Währenddessen suchte O’Maley fluchend seine Schuhe. Er ging im Zimmer herum und machte zynische Bemerkungen. Seine nackten Zehen sahen auf dem tiefblauen Teppich groß und unförmig aus. Haid mußte plötzlich an seine Frau und den Rechtsanwalt denken, vielleicht hatte auch sie seine Abwesenheiten ausgenützt, ohne daß er es jemals gemerkt hatte und ohne daß er es jemals erfahren würde. Er war für kurze Momente aus seiner eigenen Lebensgeschichte ausgeschlossen gewesen, indem er in etwas miteinbezogen war, wovon er nie Kenntnis hatte und nie Kenntnisse haben würde, das aber sein Leben völlig verändert haben konnte. Er dachte auch an Mehring, an jene Nacht, in der er mit Carson im Zimmer geschlafen hatte und Genuß bei dem Gedanken empfunden hatte, Mehring könne ihn hören. Haid schloß die Tür. Die roten und blauen Glasscheibchen in der Tür erschienen ihm wie leuchtende Bildchen. Friederike kam mit Kapra ins Zimmer, legte einen Arm um Haid und zeigte ihm durchs offene Fenster zwei blühende Kirschbäume.
    »Das waren vor kurzem noch schwarze Zweige«, sagte sie. Dann sagte sie, daß in wenigen Wochen der ganze Hügel von roten Blumen leuchten werde. Sie ließ den Arm fallen und ging in die Küche, aus der sie mit heißem Pfefferminztee zurückkam. Kapra und O’Maley verhielten sich, als wäre nichts vorgefallen. O’Maley machte weiter zynische Bemerkungen und Kapra lachte darüber. Haid kam sich angenehm immun vor. Im Augenblick berührte ihn nichts. Er sah die Gegenstände auf dem Schreibtisch, das gelbe Telefon, ein paar Centstücke, einen lila Bleistift mit Zahnspuren auf dem Blechring, in dem der Radiergummi festgehalten wurde, einen geschlossenen Füllhalter, eine zerdrückte Zigarettenschachtel. Durch das Fenster sah er den gegenüberliegenden Hügel im gelben Sonnenlicht. Die letzte Stunde kam ihm vor, als sei er durch wäßrige Luft gegangen. Friederike brachte aufgeschnittenes Rosinenbrot mit Butter aus der Küche, und Haid fühlte die Süßigkeit des Brotes durch sich fließen. Sein Blick blieb am Samtsakko Kapras hängen, das auf einem roten Schrank lag. Haid fand jetzt alles schön. Er hörte den Gesprächen zu, und als Friederike erzählte, daß sie in der Umgebung zwei Tote gefunden habe, war ihm, als läse sie aus einem Buch von Raymond Chandler vor. Einen Leichnam, eine Drogenvergiftete, habe sie am Strand gefunden und einen neben der Straße. Beide seien in Decken gehüllt gewesen. Einer der beiden habe Tennisschuhe getragen. Als ihn ihr Begleiter aus der Decke gerollt habe, habe sie gesehen, daß seine Augen geschlossen gewesen seien. Sie habe den Toten angefaßt und gespürt, daß seine Haut kalt gewesen sei. »Das war im Sommer«, sagte sie, »und alles hier war voller Blumen.«
     
     
17
     
     
    Später wollte Kapra mit Prof. Hacker telefonieren, der in der Nähe von Los Angeles ein Nervensanatorium besitzt. In Haid war für einen kurzen Augenblick die Idee entstanden, Hacker alles zu erzählen, was mit Carson geschehen war, aber als er erfuhr, daß Hacker nicht im Sanatorium war, verwarf er diesen Gedanken wieder. Kapra hatte gebeten, man möge zurückrufen und O’Maley machte eine abfällige Bemerkung über Hacker. Sie schwiegen. Haid hörte den Hund schmatzend in der Küche fressen. Als Kapra und O’Maley in die Küche gingen, um dem Hund beim Fressen zuzusehen, trat Friederike von hinten an Haid heran und legte zärtlich ihre Arme auf seine Schultern. Dann ließ sie ihn los, hob ein Buch auf, das unter dem Schreibtisch lag und drückte es ihm in die Hände. Das Buch war ein Roman von Longfellow und hatte den Titel HYPERION. Haid las eine romantische Schilderung, hörte von Friederike, daß es acht Uhr sei, und als er sie nach einer ihm lange scheinenden Zeit abermals fragte, wie spät es sei, stellte er fest, daß erst fünf Minuten vergangen waren. Er legte das Buch weg und ging in die Küche. O’Maley

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