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Der grosse Horizont

Der grosse Horizont

Titel: Der grosse Horizont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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hatte nicht widerstehen können. Er hielt vor einem Sexkino, betrachtete die ausgestellten Fotografien und löste eine Karte. Der Billeteur spuckte einen ausgelutschten Kaugummi in einen Papierkorb. Haid setzte sich in eine leere Reihe und blickte auf die Leinwand. Ab und zu fiel eine Bemerkung aus dem Publikum. Jemand hustete während der Kopulationsszenen asthmatisch. Zwischen den beiden Hauptfilmen waren Coca Cola-Reklamefilme eingeschoben, die das »WONDERFUL LIFE « an schönen Schauplätzen mit schönen, keuschen Menschen zeigten. Nach dem zweiten Film trat Haid erregt ins Freie. Es war kalt, und er fror. Auf den Stufen zu einem Haus saß eine zerlumpte Gestalt, die ihn stumm und herausfordernd angrinste. Haid schaute sofort weg und beeilte sich, die Hauptstraße zu erreichen. Er hatte ein wenig die Orientierung verloren, kam an der Oper vorbei, an einer kaffeebraun gestrichenen Bar: Johnnys Cafe. Ein handgeschriebener Zettel war an die Fensterscheibe geklebt: Eintritt nur über 21. Haid wollte eintreten, um einen Whisky zu trinken, aber als er die Schwingtüre geöffnet hatte, bemerkte er, daß die Bar schlecht beleuchtet war und daß einige Gestalten an der Theke lungerten. Er ging wieder hinaus und sah jetzt, daß eines der Fenster zur Bar drei Einschußlöcher aufwies.
    Er spazierte auf gut Glück weiter, fand die Powell Street, blieb vor dem Hotel stehen und schaute den Straßenbahnen zu, die heftig bimmelnd den Hügel hinauf- und hinunterfuhren.
     
     
5
     
     
    Mitten in der Nacht erwachte er. Im selben Augenblick, als er erwachte, war er nicht mehr müde. Auf der Straße herrschte noch immer Leben. Haid kleidete sich an. Im Lift überlegte er, wie er sein Verhalten dem Portier gegenüber erklären sollte. Warum war er aufgestanden, um mitten in der Nacht auf die Straße zu gehen? Gleich darauf ärgerte er sich, daß er sich für alles, was er tat, rechtfertigte. Wenn er mit jemandem zusammen war, begründete er immerzu sein Tun. Er rechtfertigte sich auch für jeden Spaß, den er über jemanden machte. Er war der Überzeugung, daß es keinen Spaß gab. Spaß war nur eine andere Form der Ernsthaftigkeit. Humor zu haben und daran zu glauben, kam ihm dumm vor. Der Spaß war ein Mittel, jemandem etwas zu sagen, ohne daß dieser sich davon berührt zeigen durfte. Haid haßte das Lachen, das von einem Spaß gefordert wurde, auch wenn er darunter litt. Und doch konnte er sich selbst nicht beherrschen, einen Spaß über jemanden zu unterdrücken. Aber er hatte kein gutes Gewissen dabei und rechtfertigte sich sofort mit einer Selbstbeschuldigung. Obwohl Haid sich darüber schämte, ging er zum Portier und erklärte ihm umständlich, daß es in Europa jetzt 9.30 Uhr sei. Der Portier nickte, ohne zu antworten … In einer Imbißstube aß Haid einen gekochten Maiskolben und trank Limonade. Ein Neger mit breitem Hut sprach ununterbrochen und laut zu den Gästen. Er rief auch etwas zu Haid hinüber. Die Gäste saßen einsam und frierend auf den Hockern und beachteten den Neger nicht. Es war, als legten sie seine Zurufe als Selbstgespräch aus und als akzeptierten sie sein Verhalten.
    Der Neger trat plötzlich auf Haid zu und forderte ihn auf, mit ihm am Automaten ein Spiel zu machen. Haid nahm aus Verlegenheit an. Da der Neger keinen Vierteldollar fand, warf Haid eine Münze ein. Der Neger fummelte zerstreut am Drehknopf und erzählte währenddessen von sich. Er sagte, er komme aus White Horse. Er trug eine schmierige, blaue Windjacke und verwechselte Austria mit Australien. Haid war das egal. Wovon hätte er erzählen sollen, in dieser verdreckten Imbißstube, von Mozart, Beethoven, Stifter, vom AUSTRO MARXISMUS oder von Lipizzanern? – Da Haid die wirren Worte des Negers immer weniger verstand, bediente sich der Neger nur noch einer hektischen Zeichensprache. Haid zuckte die Schultern und wollte sich abwenden. Im selben Moment klammerte sich der Neger an seinen Ärmel, kam ganz nahe mit seinem nach Alkohol stinkenden Mund heran und sagte: »I have no brain. Ich habe kein Gehirn! Kein Gehirn! Kaputt.« Daraufhin schüttelte er ihm die Hand. Haid wollte seine Hand zurückziehen, aber der Neger ließ sie nicht los. »Amerika ist schlecht«, sagte er und starrte ihn mit leblosen Augen an. Haid täuschte Interesse vor, um sich unbemerkt von seiner Hand losmachen zu können und fragte ihn, warum er nicht in White Horse geblieben sei. Der Betrunkene zog schwankend seine Hand zurück und formte mit der Faust und dem

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